Kultur: Gedankentief
Orgelkonzert mit Vincenzo Allevato
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In der Regel ist es doch so: Wird ein Organist von außerhalb erstmals zu einem Gastspiel nach Potsdam eingeladen, erhält er vorab Informationen zur Orgeldisposition, kann dann eine kurze Zeit am Instrument proben, Register ausprobieren, werkgerecht die trefflichsten auswählen und abspeichern. Doch nicht immer kann er aus Zeitmangel die rhetorischen Finessen und verborgenen Reize der „Königin“ entdecken. Erfahrungsgemäß registriert und parliert er daher mit ihr auf Nummer sicher. Nicht so der 22-jährige Italiener Vincenzo Allevato, der sich am Mittwoch bei seinem Orgelsommer-Auftritt in der Friedenskirche wahrlich als königlicher Frauenversteher offenbarte. Was seinen Grund hat, denn im vorigen Jahr absolvierte er bei Kirchenmusikdirektor Matthias Jacob ein Praktikum an der Woehl-Orgel, die er dadurch so intensiv wie nur möglich kennenlernen konnte. Das zahlt sich nun aus. Nicht unwichtig zu wissen, dass Allevato als einer von zwanzig Kandidaten für den ARD-Wettbewerb nominiert ist.
Als Einspielstück wählt er die Bearbeitung von Gioacchino Rossinis „Wilhelm Tell“-Ouvertüre, um durch sie sein fantasievolles Farbenspiel eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Für die sanft säuselnde Einleitung und um die Streicher zu imaginieren, zieht er Register wie Aeoline und Geigenschwebung. Für die Blitze eines nahenden Gewitters hält er mancherlei Flötenstimmen parat, während das komplette Unwetter mit Donner und Sturm im vollen Orgelwerk und vorzugsweise durch scharfe Prinzipalstimmen seine Wirkung nicht verfehlt. Die Alphornidylle nimmt er sehr breit, dann leiten Trompeten zum Geschwindmarsch über. Bei aller effektvollen Ausbreitung legt Vincenzo Allevato großen Wert auf ein sehr detailreiches Spiel in passender dynamischer Abstufung. Eine orchesternahe Wiedergabe, eher zurückhaltend und kultiviert als krachledern.
Um dem Jahresjubilar Franz Liszt die gebotene Reverenz zu erweisen, spielt er dessen von Max Reger apart adaptiertes Klanggemälde „Der Heilige Franziskus von Paula auf den Wogen schreitend“, der in Kalabrien noch heute verehrt wird. Diese stark religiös inspirierte Legende ist von Reger chromatisch angereichert. Aus gravitätischer Grundstimmung erhebt sich unruhig grummelnd und tremolierend eine Pedalstimme – Symbol fürs aufgewühlte Wasser?! Dann gibt es hüpfende Akkorde, hingemeißelt und kurz phrasiert, dazu braust es in der Tiefe. Eine gleichsam glaubensfeste, fortschreitende Melodiestimme im ersten Manual führt schließlich in die Verklärung.
Als begabtester Lisztschüler hat Julius Reubke (1834-1858) mit seiner c-Moll-Orgelsonate dem Lehrmeister alle Ehre gemacht. Ihr liegt der 94. Psalm „Erhebe dich, o Richter“ zugrunde, die Reubke im Sinne der Listz’schen sinfonischen Dichtung textnah vertont hat. Große romantische Steigerungen wechseln mit lyrischen Betrachtungen, die Beschwörung zur Bestrafung mit der Zuversicht auf Vertilgung der Gottlosen.
Um die geistigen Dimensionen des Werkes aufzuspüren, schont Allevato weder schnarrende bis scharf klingende Register noch prägnante Solostimmen und spannende Mixturen. Hinreißend. Er scheut weder vor monumentaler Hingabe noch innigster Versenkung zurück, dabei die Möglichkeit der Orgel nahezu restlos ausschöpfend. Mit einer veritablen Fuge, die sich zu majestätischer Größe verdichtet, endet dieser gedankentiefe Orgelabend.
Peter Buske
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