
© Manfred Thomas
Von Dirk Becker: Gedenkversuche
Am gestrigen Dienstag jährte sich der Geburtstag von Hans Otto zum 110. Mal – Eine kleine Gruppe erinnerte in Potsdam daran
Stand:
Es war schon ein komisches Bild, das sich da am Dienstagvormittag in der Schiffbauergasse bot. Aber ein bezeichnendes und äußerst aussagekräftiges Bild dafür, wie in dieser Stadt mit dem Gedenken an Hans Otto, dem Namensgeber des städtischen Theaters, umgegangen wird.
Da standen also am gestrigen Dienstag, etwas verloren, fünf Herren vor dem Eingang zum Hans Otto Theater. Einer von ihnen hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Rote Nelken und weiße Chrysanthemen. Keine protzigen, sondern bescheidene Blüten. Zwei der Herren schrieben gelegentlich in ihre Notizbücher, während die anderen zwei redeten. So sah sie aus, die einzige Gedenkveranstaltung in Potsdam anlässlich des 110. Geburtstages von Hans Otto.
Da waren auf der einen Seite die Veranstalter: Marcus Pilarski von der, und jetzt braucht es den langen Atem: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Landesverband Brandenburg e.V. Ortsvereinigung Potsdam, kurz VVN-BdA. Dann noch Lutz Boede, Geschäftsführer der Potsdamer Wählergemeinschaft Die Andere, und ein Herr, der sich nur mit Achim vorgestellt und den Blumenstrauß mitgebracht hatte. Auf der anderen Seite die beiden Gäste: Je ein Vertreter der lokalen Tageszeitungen.
Kurzfristig habe man sich für dieses Gedenken entschieden, sagte Lutz Boede. Sprich: Erst am Montag, dem Tag zuvor also. Darum habe es auch nur für den Blumenstrauß gereicht. „Ein Kranz mit Schleife, bedruckt mit Namen und den Lebensdaten, war so kurzfristig nicht zu bekommen.“ In Berlin, wo eine Straße den Namen Hans Otto trägt, war schon seit längerem ein öffentliches Gedenken für diesen Dienstag geplant. Und ein solches habe er auch von der Potsdamer Stadtverwaltung erwartet, sagte Boede.
Er kennt das undurchschaubare Räderwerk dieser Verwaltung sehr gut. Seit Jahren ist Boede in der Stadtpolitik aktiv. Lange Zeit als Stadtverordneter für Die Andere, nun als Geschäftsführer im Hintergrund. Er ist unbequem, weil er da nachhakt, wo es wehtut. Manche bezeichnen ihn als Querulanten, weil er auch dann nicht Ruhe gibt, wenn ihn die Polizei aus der Stadtverordnetenversammlung führt. Er ist ein Garant dafür, dass er mit Nachdruck auf die Stellen im Misthaufen Politik weist, wo dieser am meisten stinkt. Aber Lutz Boede ist nicht ungerecht.
„Ich weiß ja, dass die Verwaltung bestimmte Termine oft erst kurzfristig bekannt gibt“, so Boede. Daher habe er auch das Wochenende verstreichen lassen in der Annahme, dass am Montag eine Mitteilung kommen würde, wann und wo die Stadt des Herrn Hans Otto gedenken werde. Aber diese Mitteilung kam nicht.
„Mittlerweile kann man Bücher damit füllen, wie diese Stadt seit der Wende mit bestimmten Personen der Zeitgeschichte umgeht“, sagte Lutz Boede am Dienstag vor dem Hans Otto Theater. Er sagte das nicht wütend oder frustriert, nicht herablassend oder ironisch. Seine Stimme hatte dabei diesen gelassenen Ton der Menschen eigen ist, die, obwohl sie es mittlerweile eigentlich besser wissen müssten, immer wieder aufs Neue wie Don Quijote gegen Windmühlen anrennen. „Vielleicht gelingt es uns ja, wenn die Angestellten den Blumenstrauß sehen, dass sie darüber nachdenken, wer Hans Otto überhaupt war.“, sagte Boede.
Das Problem war nur: Von den Angestellten des Hans Otto Theaters war an diesem Vormittag weit und breit niemand zu sehen. Aber es wäre schon interessant gewesen zu erfahren, was sie geantwortet hätten auf die Frage, ob sie wohl wissen, wer dieser Hans Otto gewesen ist. Wahrscheinlich wäre die Antwort so ähnlich wie die eigene ausgefallen, als man am Montag die Einladung zu der kurzfristig geplanten Gedenkveranstaltung aus dem Faxgerät zog.
Hans Otto? Tut mir leid, da muss ich leider passen.
Ein Künstler war Hans Otto. Ein linker Künstler über den Brecht in einem Brief an den Schauspieler Heinrich George geschrieben hat: „Ein Mann seltener Art, unverkäuflich.“
In Dresden wurde Hans Otto geboren. Zusammen mit Erich Kästner besuchte er die Schule, sie gingen in dieselbe Klasse. Am Künstlertheater in Frankfurt am Main debütierte Hans Otto als Schauspieler. 1921 war das. Drei Jahre lag da der Erste Weltkrieg zurück, der nicht ohne Grund als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird. Ein Ereignis, das prägte, vor allem auch die politische Einstellung. Hans Otto entschied sich. Im Jahr 1924 trat er in die 1919 gegründete Kommunistische Partei Deutschland ein.
Engagements führten ihn in den kommenden Jahren an Schauspielhäuser in Gera und Hamburg, dann nach Berlin, wo er zuletzt am Staatstheater am Gendarmenmarkt auftrat. Daneben war er Vorsitzender der Berliner Sektion des Arbeiter-Theater-Bundes und Vertrauensmann der Gewerkschaft der Deutschen Bühnenangehörigen.
Hans Otto war Schauspieler aus Leidenschaft, doch nicht um jeden Preis. So lehnte eine Mitarbeit im Ufa-Film „Fridericus Rex“ ab. Aus politischen Gründen. Im November 1933 wurde Hans Otto in einem Restaurant am Viktoria-Luise-Platz wegen seiner politischen Haltung von der SA verhaftet. Für die Nationalsozialisten stand der Schauspieler nicht einfach nur auf der falschen Seite, er war auch noch prominent.
Die Nazischergen tobten sich an dem jungen Mann mit dem offenen und freundlichen Gesicht aus. Sie prügelten und misshandelten ihn. Dann warfen sie ihn aus dem dritten Stock der SA-Kaserne in der Voßstraße. Zehn Tage später, am 24. November 1933, erlag Hans Otto seinen Verletzungen.
Seit 1952 trägt das Potsdamer Theater den Namen „Hans Otto“. Vielleicht liegt es an diesen mittlerweile 58 Jahren, dass der Name zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Ein Titel, deren Bedeutung keiner mehr hinterfragt, weil er einfach dazugehört. Selbst auf der Internetseite des Hans Otto Theaters sucht man vergeblich nach einem kleinen Hinweis. „Das schafft heute sogar jede Grundschule“, sagte Boede wieder in diesem gelassenen Ton. Dann wollte er endlich die Blumen niederlegen. Doch es stellte sich die Frage wo.
Direkt neben der verschlossenen Eingangstür würden die Nelken und Chrysanthemen wirken, als hätte sie jemand vergessen oder achtlos dorthin geworfen. Dann kam der Hinweis, dass im unteren Foyer des Theaters eine Büste von Hans Otto steht und dass dies der angemessene Ort für die Blumen wäre.
Der Pförtner am Angestellteneingang lächelte, als die fünf Herren sich vor ihm aufstellten und Marcus Pilarski das Anliegen vortrug. Ob er nur freundlich oder amüsiert lächelte, lässt sich schwer sagen. Ein kurzer Telefonanruf und er schickte die Besucher in den dritten Stock, dort, wo der Geschäftsführende Direktor Volkmar Raback und der Intendant Tobias Wellemeyer ihre Büros haben. Doch die Herren des Hauses waren nicht anwesend. Nur das Sekretariat ist in diesen Tagen besetzt.
„Tut mir leid, wir haben Ferienzeit“, sagte die überraschte und auch etwas irritierte Sekretärin. Ein Blumenstrauß im Foyer niederlegen? Aber da werde doch gerade der Fußboden erneuert. Dann bat sie, im Konferenzraum nebenan Platz zu nehmen.
Diesen betrat nach wenigen Minuten ein weiterer Angestellter des Theaters. Und zum wiederholten Male erklärte Marcus Pilarski das Anliegen der kleinen Gruppe.
Einen Blumenstrauß zum Gedenken an Hans Otto vor die Büste im Foyer niederlegen? Natürlich sei dies möglich, sagte der freundliche Herr. Und schon nach kurzer Zeit stand man vor dem bronzenen Kopf, der links neben dem Eingang zum Saal an die Wand gestellt ist. Etwas zu weit entfernt, als dass man diese mit der Büste in Verbindung bringen könnte, stehen ein paar Sätze über das kurze Leben von Hans Otto an der roten Wand. Darunter auch das Zitat von Brecht aus seinem Brief an Heinrich George.
„Ja, dann lege ich mal die Blumen nieder“, sagte Marcus Pilarski und wirkte dabei, als wüsste er nicht, wie man das jetzt am Besten und Würdevollsten, ohne zu übertreiben macht. Lutz Boede erwähnte noch einmal den fehlenden Hinweis auf der Internetseite des Theaters und fragte, ob den noch irgendetwas zum 110. Geburtstag des Herrn Otto seitens der Theaterleitung geplant sei. Der freundliche Theaterangestellte verwies auf die Verantwortlichen. Die solle man doch fragen, wenn die Ende August wieder aus der Ferienzeit zurückgekehrt seien.
Lutz Boede, Marcus Pilarski und Achim haben sich dann noch auf den Weg zum Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf gemacht, wo das Grab von Hans Otto steht. Wer das besuchen will, muss sich auf eine anständige Suche gefasst machen, denn nur ein kleiner, fast schon zugewachsener Trampelpfad führt dorthin. Letztendlich zeige sich im Umgang mit dem vernachlässigt wirkenden Grab auch der Umgang mit dem Gedenken an Hans Otto, so Boede. Es sei damit zu rechnen, dass dieses Grab, weil es nicht geschützt sei, bald verschwinden wird. Und ob das Hans Otto Theater noch immer für Pflege zahle, da sei er sich auch nicht so sicher.
Bis 2026 wird das Grab von Hans Otto noch stehen, wie die Friedhofsverwaltung auf Nachfrage erklärte. Im Jahr 2006 habe es eine entsprechenden Beschluss durch den Berliner Senat gegeben.
Die Nachfrage bei der Potsdamer Stadtverwaltung, ob und in welcher Form sich die Stadt oder das Theater um die Grabstelle von Hans Otto kümmert, konnte gestern nicht beantwortet werden. Der verantwortliche Mitarbeiter sei nicht da, hieß es aus dem Rathaus. Ferienzeit.
Wäre man ein Zyniker, man könnte fast sagen, Hans Otto ist zur falschen Jahreszeit geboren.
Dirk Becker
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