Kultur: Gedichte am Apfelspalier
Im Garten vorgelesen: Eva Weißenborn mit lyrischen Stenogrammen von Mascha Kaléko
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Wie das? Eine Großstadtpflanze inmitten von Blumenbeeten? Gedichte aus dem quirligen Berlin der zwanziger Jahre hangeln sich am Apfelspalier entlang. Die prallen Früchte legen Farbe auf. Ach doch. Mascha Kaléko hätte sich in der Potsdamer Kleingartenidylle wohlgefühlt. Zumindest einen sonnenwindigen Nachmittag lang, wie am vergangenen Samstag, als die Urania zum Vorlesen in den Garten von Nicola und Meik Szydlik einlud.
Die beiden Berliner Landschaftsplaner sind Großstadtflüchtlinge, die hier an der Lennéschen Feldflur für sich und ihre Kinder ein grünes Refugium geschaffen haben. „Früher“, erinnert der Gastgeber, „gehörte ja die Gartenkunst zu den schönen Künsten“. Dass nun Schauspielerin Eva Weißenborn zwischen seinen geschwungenen Hecken und Rabatten Platz genommen hat, um vor hundert Gartengästen Gedichte zu lesen, scheint ihm eine schöne Selbstverständlichkeit zu sein. Ebenso die Anwesenheit der Akkordeonistin Cathrin Pfeifer, die ihre musikalischen Antworten auf die Texte geben wird.
Eva Weißenborn beginnt mit einem „Interview“ in Versform, das die 1907 in Galizien geborene, in Berlin aufgewachsene Mascha Kaléko als junge Frau mit sich selbst führte: kess, flapsig, voller Ironie, umweht aber von einem Schleier Melancholie, die ihre Gedichte so nachdenklich macht. Als widerspenstiges Kind beschreibt sie sich, kein „einwandfreies Mutterglück“, begabt und lebenshungrig. Unverhüllt bleibt ihre Ernüchterung, als Stenotypistin ins Büro verbannt zu sei. Der Enge entflieht sie mit dem Bleistift reisend auf der Landkarte. Und sie schreibt Gedichte. Über unsterbliche Verliebtheiten, die Kurzlebigkeit von Großstadtbeziehungen und eine Reisetante auf Sizilien, der sie aus dem verregneten Berlin bittersüßliche Zeilen schickt. Eva Weißenborn liest das alles mit gebotenem Unterton und produziert damit manchen Lacher. Cathrin Pfeifer nimmt die sehnsüchtig-heitere Stimmung auf. Leichthändige Melodiesprünge lassen an ein auf der Straße vor sich hin hüpfendes Kind denken, träumend, gedankenversunken. Das Liebesgedicht aber „Für den Einen“ lässt die Akkordeonistin auf ihrem Instrument in tiefen „Atemzügen“ nachklingen.
Mascha Kaléko, die ihr Dichten gern mit dem Angeln oder auch dem Tauchen nach Perlen verglich, findet Anschluss an die Dichtergemeinde im „Romanischen Café“, trifft dort auf Ringelnatz, Tucholsky, Lasker-Schüler und Kästner. Ernst Rohwolt veröffentlicht 1933 ihr erstes Buch, das „Lyrische Stenogrammheft“, das ob seiner lebensklugen Betrachtungen schnell vergriffen ist. So steil der Aufstieg der Mascha Kaléko, so jäh der Absturz. Die lyrischen Stenogramme der jüdischen Autorin landen auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“. Zeit, das nationalsozialistische Deutschland zu verlassen.
Mit Mann und Sohn geht sie ins amerikanische Exil, erträgt mit innerer Ungeduld die Wartestellung in der Fremde: „Ich bin so müd von diesem bisschen Leben und habe nicht die Ruhe auszuruhn.“ Schwermütig werden die Erinnerungen an das Heimatland, „das die Pest fraß“. Sie schreibt Verse an und für den Sohn, bittet ihren Schutzengel, das kleine „schwarze Schaf“ zu bewachen, „dass es sich manchmal auch weiß gebärde“. Das Akkordeon singt nun sehr leise, und Eva Weißenborn gelingt es, die Traurigkeit eines eigentlich fröhlichen Gemüts hören zu lassen. Noch stärker wird dieser Eindruck in Mascha Kalékos ernüchternden Zeilen über das kriegszerstörte Berlin: „Wie vieles sah ich, was ich nicht mehr sah.“
Erneut geht sie ins Ausland, nun nach Israel. So bleiben ihre Gedichte voller Sehnsucht und gewinnen an Schmerz, als sie nach dem Tod von Sohn und Mann allein weiterleben muss. Was ihr eigenes Ende betrifft, so findet sie zu alter Selbstironie zurück: „Wenn Plato recht hat – Plato ist mein Mann: Erst wenn man tot ist, fängt das Leben an.“ Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
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