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Von Almut Andreae: Gefahr im Verzug
Internationale Fotografie im Fokus: Ausstellung „Noir Complex“ im Brandenburgischen Kunstverein
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Man ahnt wenig Gutes. Diffus, durchaus beunruhigend das Gefühl, dass da etwas im Anflug ist. Meist sind es Andeutungen, manchmal auch Gewissheiten in diesen Fotografien. Die Arbeiten von neun Fotografinnen und Fotografen aus aller Welt sind noch bis zum morgigen Sonntag im Brandenburgischen Kunstverein zu Gast. „Noir Complex“, Titel der Ausstellung, bildet zwischen den unterschiedlichen Beiträgen inhaltlich die Klammer. Zugespitzt auf die vier Themenblöcke „City“, „Story“, „Destruction“ und „Death“ sind hier aktuelle Positionen der internationalen Fotokunst versammelt.
In den gezeigten Arbeiten reflektieren die Künstlerinnen und Künstler, geboren zwischen 1943 und 1981, dunkle Seiten unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Angst, Bedrohung und Zerstörung werden thematisiert. Wie im „film noir“, der Kurator Maik Schlüter bei der Konzeption dieser Ausstellung entschieden inspirierte, schaut der Betrachter der ausgewählten Fotokunst auf nächtliche Kulissen, menschenleere Straßen und Situationen im Zwielicht. Die Wirkung dieser Bilder entsteht zu einem Großteil daraus, was sie an Stimmungen unterschwellig an den Betrachter weitergeben. Eine Person oder Situation, die vom Fotografen konkret gezeigt wird, bleibt am Ende oft rätselhaft. Wenn die Engländerin Clare Strand eine elegant gekleidete Dame mit dem Rücken zum Betrachter, eine Topfpflanze im Arm, vor einer Mauer ablichtet, entsteht Raum für Assoziationen. Zu solch einer Szene lässt sich ein eigener Subtext erfinden, der das Bild mit einer vermeintlichen Deutung unterlegt. So geschehen im üppig bebilderten Katalog, der die Ausstellung ergänzend flankiert. Ein hier abgedruckter Essay des Kurators zum Thema der Ausstellung unterstreicht die sich mit dem Genre „Noir“ verbindende Ambivalenz und Vieldeutigkeit.
Über inhaltliche Übereinstimmungen hinaus zeigen sich die Foto-Arbeiten auch formal mit dem „film noir“ verwandt. So wählten einige Künstler die Storyboard-Sequenz als Erzählform. Im vollständig gezeigten Schwarz-Weiß-Zyklus „Vegas“ des Leipzigers Andreas Schulze fügen sich einzelne Bilder wie Fragmente zu einer möglichen Geschichte. Deren innerer Erzählstrang entsteht im Dialog mit der Vorstellungskraft des Betrachters. Ganz anders verfährt Marco Poloni in seiner Serie „Permutit – Scenes from a Film“. Für die Potsdamer Ausstellung, die bereits im Sommer im Bregenzer Kunstverein zu sehen war, hat Poloni aus der im Ursprung etwa 70-teiligen kleinformatigen Fotoserie in Farbe drei Motive isoliert und stark vergrößert. Bei dieser Neuinterpretation einer bereits vorhandenen Arbeit nimmt der gebürtige Amsterdamer inhaltlich Bezug auf das Kennedy-Attentat. Für die nachgestellten Szenen im stark veränderten Setting wählt der Fotograf die Perspektive des Attentäters. Dadurch wird die Wahrnehmung des Betrachters unweigerlich mit dem Beobachtungs- und Beschattungsmodus des Täters in Einklang gebracht.
So wie Poloni lenken auch andere Künstler in „Noir Complex“ den Blick des Betrachters mehr oder weniger subtil in ganz bestimmte Bahnen. Das geschieht in den nächtlichen Luftaufnahmen der Serie „Nightsun“ von David Deutsch, spotartig ausgeleuchtet durch den Kegel von Suchscheinwerfern. Die Polizeihubschraubereinsätze über vermeintliche Tatorte setzen in der Vorstellung des Betrachters das eigene Kopfkino in Gang. So wie David Deutsch bei seiner Serie Archivmaterial verwertete – eine in der Kunst beliebte Herangehensweise, bekannt auch als „Found-Footage“ – greift der US-Amerikaner Charles Gaines in seiner Serie „Night/Crimes“ auf Archivfotos zurück. Aufnahmen vom Tatort eines Kriminaldeliktes und der Festnahme des Täters stellt er eine Großaufnahme des Sternenhimmels gegenüber. Zu sehen ist genau jene Sternenkonstellation, die nachweislich über dem Tatort zum Zeitpunkt der Tat bestand. Die Konfrontation dieser Realitätsebenen im Rahmen einer dreiteiligen Fotoarbeit spannt den Bogen gedanklich jedoch noch weiter: Gaines formuliert die Hypothese, inwiefern die Koinzidenz von Sternenkonstellation und Ort zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt unweigerlich eine neue Tat generiert.
Die Bilder dieser Ausstellung entlarven unterschwellige Ängste, mit denen unsere Gesellschaft gelernt hat zu leben. Ängste, in denen das Wissen um latente und offensichtliche Gewalt, um Zerstörung und Tod allgegenwärtig scheint. Gerade die Innenaufnahmen von stillgelegten Atomkraftwerken, die Laura Bielau in ihrer bedrückenden Serie „Scud“ mit Stillleben ausgestopfter präparierter Tiere konfrontiert, sprechen da eine klare, unmissverständliche Sprache. In „Scud“ rückt die junge Künstlerin aus Leipzig Zerstörung durch den Menschen in den Brennpunkt des Geschehens.
In dem knapp fünfminütigen 16 mm-Film „A Satisfied Mind“ der in Berlin lebenden ebenfalls jungen Amerikanerin Amy Patton von 2005 sucht einen die globale Bedrohung, die von potentiellen Bombenkoffern ausgeht, einmal mehr heim. Die in der Kunst konstruierte Fiktion des „Noir“ ist längst in unsere Lebenswirklichkeit hinübergeschwappt.
Noch heute und am morgigen Sonntag, 12-18 Uhr, in der Brandenburger Str. 5 (Luisenforum)
Almut Andreae
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