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Kultur: Gefühle in Aufruhr

Oskar Roehler zu Gast beim Filmgespräch im Thalia

Stand:

Oskar Roehler zu Gast beim Filmgespräch im Thalia Oskar Roehler ist nicht der große Redner vor dem Herrn. Oder aber er hat an diesem Abend keine rechte Lust zum Plaudern. Jedenfalls enden seine Sätze mitunter recht abrupt im Nebulösen. Nun ist es aber wohl auch nicht jedermanns Sache, auf einem hochbeinigen Barhocker zu thronen, das Scheinwerferlicht auf sich gerichtet, das Publikum im Saal weit entfernt – und dann noch der bestechende Unterhalter zu sein. Distanz ist bei dieser Form des Gesprächs, wie es das Thalia am Samstag Abend sucht, beinahe vorprogrammiert. Die Zuschauer spielen dennoch gut mit, halten mit ihren Fragen an den Regisseur von „Agnes und ihre Brüder“ nicht hinterm Berg. Gleich die erste nach seiner persönlichen Motivation für den Film, nervt Roehler offensichtlich, zumal sie ihm schon im Vorfeld seitens eines Rundfunksenders angetragen wurde. Es sei eine zu globale Frage, für die er weit ausholen müsse, wehrt er ab, um dann dann doch einen Erklärungsversuch zu wagen. Er wollte Figuren zeichnen, die mit dem Leben in Deutschland zurecht kommen müssen. Aber nicht die ökonomische Seite, sondern die Gefühle hätten ihn dabei interessiert: dass beispielsweise Ehe nicht gleich Liebe bedeuten müsse, zu welchem Frust ein Single-Daseins führen könne – eben Gefühle in Aufruhr. Der Film, den man böse auch mit einer unterhaltsamen „Fleischschau“ abtun könnte, hat durchaus seine Stärken. Allen voran die Darsteller. Jede Rolle ist exzellent besetzt: besonders überzeugend die transsexuelle Agnes (Martin Weiss), die in einer berührenden Zurückhaltung ihre verletzten Gefühle preisgibt. Ihre Brüder werden von Herbert Knaup und Moritz Bleibtreu gespielt. Knaup zeichnet einen etwas lächerlich-cholerischen Trittin-Verschnitt, der sich seit Jahren dem Dosen-Pfand verschreibt, aber zu Hause nicht mal den Hausmüll trennt. „Das sollte keine präzise Gesellschaftskritik sein, nur etwas piesacken am absoluten Gut-Mensch-Gehabe“, so Roehler. Knaup zur Seite stellte er Katja Riemann, obwohl diese durch ihre Komödien stigmatisiert sei und kein Kollege mit ihr arbeiten wolle. Das habe er zu widerlegen versucht: Ein durchaus gelungener Schachzug. Auch mit der Besetzung von Moritz Bleibtreu als Hans-Jörg lag er goldrichtig, obwohl dieser gegen seine Natur einen völlig unerotischen, sexsüchtigen Spanner gibt. Allerdings hat er es als ungeliebter Eigenbrötler auch sehr schwer, in seinem Arbeitsumfeld den Versuchungen zu widerstehen. Seine Bibliothek päsentiert sich als wahre „Beach-Party“, zu der Unmengen gut gebauter Leserinnen nur einen Hauch von Stoff tragen. Da kann der schwitzende, erotisierte Buchverwalter nicht anders, als zum Flachmann zu greifen und schließlich auf dem Frauenklo mit Guckloch zur Nebenzelle seine aufgestauten Gelüste „abzuarbeiten“. Roehler habe mit seiner Besetzung dem Film ein bisschen Glanz verleihen wollen, was dem deutschen Film oftmals fehle. „Ich habe viel gute amerikanische Filme gesehen, die eben besser erzählt sind, „und irgendwann fängst du an, davon zu lernen“. Ja, er habe auch bewusst „zitiert“, gesteht er freimütig ein, als er indirekt auf den Ideenklau bei „American Beauty“ angesprochen wird. Auch bei Fassbinder sei er fündig geworden. „Das Konzept des Films ist es gewesen, einen Kosmos zu bauen, der sich zusammensetzt aus Dingen, die ich im Laufe meines Lebens gut fand.“ Und dabei müsse es eben auch drastisch zugehen. Das sei sein Temperament. Es sind schon etwas absonderliche Charaktere, die Roehler formt, aber durchaus sehr menschliche, die gewillt sind, sich durchzuboxen. Heidi Jäger

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