zum Hauptinhalt

Von Heidi Jäger: Gefühle in Öl

Anne Gottwald nähte textile Kunstwerke / Heute malt sie mit Farben von leuchtender Kraft

Stand:

Der November ist ihr Lieblingsmonat. Von jeher mochte sie den Regen, den sanften Begleiter ihrer kleinen Melancholie. Doch es ist nicht das triste Grau des verhangenen Himmels, den sie dieser nasskalten Zeit für ihre Malerei entreißt. Das warme Rot-Orange fallender Herbstblätter spiegelt sich in Anne Gottwalds gedankenverlorenen, oft seelentaumelnden Bildern.

Jetzt sind ihre, über gefährliche Klippen balancierenden Gefährten nach einem Ausflug in die Potsdamer Stadt- und Landesbibliothek wieder heimgekehrt. In den hellen Räumen des kleinen roten Hauses verströmen sie Vertrautheit. Für die Malerin ebenso wie für den Besucher. „Ich bin froh, dass die Bilder wieder da sind“, sagt Anne Gottwald, die zurückgezogen in einer Waldsiedlung Borkheides lebt – und dabei nichts vermisst. Weite Reisen, aus denen ihre Kollegen Inspiration gewinnen, überfordern sie. Doch sie hat keineswegs das Gefühl, etwas zu versäumen. „Ich trage vieles in mir. Und da ich sehr intensiv gucke, bin ich auch schnell satt.“ Anne Gottwald möchte reduzieren. Zu vieles bedrängt sie, sagt die Malerin. Und so darf sich auf ihren Bildern ebenso wie in ihrer Wohnung Weniges groß entfalten.

Neben dem gelben Rosenstrauß im Fenster ist es ein Foto ihres verstorbenen Mannes, der immer wieder die Blicke anzieht. Zwölf Jahre ist es her, dass Jürgen Schwenzer bei einem Autounfall das Leben verlor. Abrupt endete damit auch eine innige Künstler-Liaison. Anne Gottwald ist dennoch mit ihrem Mann im Austausch. „Ich weiß bei vielen Sachen, was Jürgen sagen würde.“

Kennengelernt hat sie Jürgen Schwenzer beim Studium an der Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg. Sie war eine späte Studentin, da die Ausreise ihres Vaters in den Westen ihr den schnellen Weg verstellte. Mit Hund und 12-jähriger Tochter brach sie schließlich 33-jährig ins Erzgebirge auf. Vorher hatte sich die gelernte Konfektionärin in verschiedenen Berufen ausprobiert, auch Wandteller bemalt, die sich gut verkaufen ließen. Doch sie wollte es genauer wissen und sich nicht so schnell zufrieden geben.

Als sie 1978 wieder nach Potsdam zurückkehrte, brachte sie Jürgen Schwenzer mit. Ihre feinsinnige Textilkunst galt als etwas Besonderes und so wurden sie - auch dank der Fürsprache des Plastikers Manfred Rößler – in den Verband Bildender Künstler aufgenommen. „Jürgen und ich zeichneten abwechselnd Entwürfe und führten sie gemeinsam aus: Es war eine echte Schinderei, aber wir waren so begeistert.“ Sie setzten Gaststätten, Betriebe, Kultureinrichtungen textil in Szene, wie die Alte Schmiede in Petzow. Mit ihren „Potsdamer Gärten“ aus Samt, Wolle und Seide nahmen sie auch an der X. Kunstausstellung in Dresden teil. Jetzt liegt dieser Zyklus, der dem Potsdam-Museum gehört, zusammengerollt auf ihrem Dachboden: „Wenn er nicht schon von Holzwürmern zerfressen ist. Heute denkt doch kein Mensch mehr daran. Damals, und wohl noch immer, fehlten dem Museum die Unterbringungsmöglichkeiten.“

Das kleine Haus mit Garten nutzte das Paar als Atelier. Die drei Zimmer im Hochhaus am Stern waren für zwei Nähmaschinen und den vielen Stoffen bald nicht mehr ausreichend. Doch ein Atelier in Potsdam zu finden, war schwierig. Über den Tausch mit einer alten Dame kamen sie schließlich nach Borkheide.

Auch nach der Wende hat das Künstlerpaar versucht, an seinem Weg festzuhalten und nicht jede Mode mitzumachen. „Wir waren selbst übervoll mit eigenen Ideen, konnten immer nur einen Bruchteil von dem ausführen, was sich im Kopf angesammelt hat.“ Heute gebe es in den Inneneinrichtungen viele Dissonanzen, das sei nichts für sie. „Aber das ist auch gar nicht schlimm. So kann ich in Ruhe malen.“

Nach dem Tod ihres Mannes fehlte ihr die Kraft, ihre Gedanken in Stoffe einzunähen. „Mit der Malerei habe ich mich wieder eingefangen. Farben waren meine Therapie.“ Ihre erste große Arbeit sei eine dreiteilige Komposition zum Thema „Klang“ für die Musikakademie in Rheinsberg gewesen.

Als sie sich 1998 nach langer Zeit wieder auf den Weg nach Borkheide machte, war der Garten verwildert, die Tapeten fielen von den Wänden. „Ich nahm mir dennoch das Recht, erst einmal den in voller Blüte stehenden Kirschbaum zu malen.“ Der ist inzwischen zusammen gebrochen. Ihre Malerei hat sich ebenfalls verändert, ist lichter, freier geworden. „Ich musste erst wieder lernen, mit den Farben umzugehen.“

Ihre Inspiration ist die Natur. „Viele denken, dass ich hier veröde, aber das ist nicht der Fall. Ich war schon als Kind gern allein.“ Aufgewachsen in einem Industriedorf bei Chemnitz lief sie ausgelassen über Felder, kletterte auf Bäumen. „Auch heute merke ich, wie gut mir Ruhe tut. Sie ist wie Balsam.“ Doch auf den geistigen Austausch möchte Anne Gottwald keineswegs verzichten. Sie war auch bei der Havelländischen Malerkolonie dabei, fand dort neue Freunde. „Aber ich passe nicht so gut in Gruppen, kann nur mein ganz Eigenes malen.“

Doch irgendwie fühlt sie sich noch immer als Potsdamerin, wo man immer mal wieder ihre Bilder in Ausstellungen entdecken kann. In der Galerie am Neuen Palais, im Landtag, im Bundesumweltministerium, in der Bibliothek. Wenn ihr jemand eine Ausstellung anbietet, ist es gut. Doch nie würde die zurückhaltende und warmherzige Frau mit ihren Arbeiten hausieren gehen.

„Euphorie und Melancholie“, heißt eines ihrer Bilder. Immer wieder malt sie Balance suchende Figuren, die zwischen weiblicher und männlicher Kraft, zwischen heiterem Schweben und brodelnder Düsternis ausloten. Auch Gärten und Berge finden fast heimlich auf ihren Leinwänden Platz. „Manchmal merke ich erst hinterher: ,Es ist ja wieder dieses Thema’.“ Zu Grün greift sie selten, selbst im überquellenden „Gewächshaus“ regiert das Orange. Anne Gottwald braucht nicht den Blick hinaus. Die dunklen Stunden sind ihre beste Zeit. „Wenn es mir gut geht, male ich jeden Abend, oft bis in die Nacht hinein.“

Noch weiß sie nicht, wohin ihr neues Bild sie treiben wird: „Es hat etwas mit Geborgenheit zu tun.“ Und die genießt sie im Moment besonders. Ihrer Idee, zu Tochter und Enkelsohn an die Ostsee zu ziehen, machte die Sehnsucht einen Strich durch die Rechnung. „Ich bin hier verwurzelt, die Ostsee ist nicht gut für mich. An der Küste fühle ich mich so ausgeliefert. Ich brauche das schützende Dach der Bäume .“ Und den Wechsel der Jahreszeiten, die sie alle mag. Besonders aber den November.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })