Von Heidi Jäger: Gegen Afropessimismus
Heute beginnt im Filmmuseum eine „Johannesburg Spezial“-Filmreihe
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Die Fahnen an den Autos sind aufgesteckt, Menschen laufen im Fieber der Vorfreude mit Fußball-Shirts durch Johannesburg. Die in Europa und auch im eigenen Land geführte Diskussion, ob Südafrika wirklich in der Lage sei, so ein Mega-Ereignis wie die Weltmeisterschaft zu stemmen, seien inzwischen verstummt. „Doch alle Euphorie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Südafrika ein Land der Gegensätze ist. Während Billionen südafrikanischer Rands in den Bau von Sportstätten geflossen sind, gibt es in den Townships weder Strom noch Wasser. Kriminalität und Aids sind die großen Themen des Landes“, sagt der Dokumentarfilmer Darryl Els. Und trotz der offiziellen Abschaffung der Apartheid lebe der Rassismus weiter. Dieses Thema ziehe sich auch durch das „Johannesburg Spezial“, das ab heute im Filmmuseum für eine Woche zu sehen ist und das Darryl Els moderierend begleitet. Die Auswahl reicht von dem 1916 gedrehten Stummfilmepos „De Voortrekkers“, der den Rassismus zelebriert, über den 1959 im Untergrund produzierten Antiapartheidstreifen „Come back Africa“ bis zu dem Science-Fiction-Film „District 9“ von 2009, der die Umsiedlung unerwünschter Nachbarn zeigt – vor dem Hintergrund brutaler Übergriffe auf Einwanderer, die zeitgleich zum Dreh im Township Soweto stattfanden. „Der Rassismus sitzt tief. Selbst 16 Jahre reichen nicht aus, um die Wunde zu schließen.“ In Johannesburg, wo der Regisseur seit fünf Jahren lebt, sei es inzwischen normal, dass schwarz-weiße Pärchen durch die Stadt bummeln. „Aber in kleineren Städten werden sie noch immer angefeindet.“
Der Bogen in den zwölf ausgewählten „Spezial“-Filmen sei weit gespannt, lobt Darryl Els die Auswahl, die Filmmuseums-Mitarbeiterin Birgit Acar gemeinsam mit der Cinematheque de Toulouse traf, die die Filmreihe nachspielt. Das Spektrum ziele bis ins zeitgenössische Filmschaffen. Das sei zwar vor allem durch Comedy und Slapstick ausgerichteten Mainstream geprägt. Aber es gebe auch immer mehr Autorenstimmen, wie die von Khalo Matabane. Er beschreibe in „Conversations on a Sunday Afternoon“ sehr gut die Atmosphäre in Johannesburg jenseits der Shopping Mails. Es sei indes schwierig, Filme zu produzieren, die nicht den Kommerz bedienen, weiß er aus eigener Erfahrung. Der 32-jährige Darryl Els findet ein ganz eigenes Bild, wenn er Johannesburg beschreibt. „Wenn du an einer Straßenkreuzung stehst, siehst du in den Geschäften die größten Autos stehen, vom Ferrari bis zum Daimler. Und dann ist da die bettelnde Frau, die auf der Straße lebt.“ Die große Frage sei, wem die Gewinne der Weltmeisterschaft zugute kommen. „Den kleinen Leuten wohl eher nicht. Die Straßenverkäufer werden schon jetzt von ihren Plätzen verwiesen.“
Dennoch ist auch er im ungebremsten Fußballfieber und hat sich schon Tickets für Ghana gegen Deutschland und Brasilien gegen die Elfenbeinküste gesichert. Darryl Els hofft, dass die WM den Afropessimismus widerlegt: die Sicht der restlichen Welt, dass Afrika zu chaotisch sei, solche Dinge zu schaffen. „Wir stehen schließlich für den ganzen Kontinent.“
Und selbst wenn es immer wieder vorwärts und rückwärts gehe, sei es ein überwältigendes Land. „Jetzt gibt es ohnehin nur eine gemeinsame Frage: Schlagen wir Mexiko, Frankreich und Uruguay?“
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