Kultur: Gegen die Vereinnahmung
Klaus Schlesinger beleuchtete das Leben auf beiden Seiten der Mauer: Premiere einer neuen Biografie
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Dass gerade ihm dies passieren sollte. Damit hatte Klaus Schlesinger (1937-2011) nicht gerechnet, ihm, der sich ein Leben lang nie vereinnahmen ließ. Im Oktober 1991 wurde er von Schriftsteller-Kolleginnen der inoffiziellen Mitarbeit der Staatssicherheit bezichtigt. Als Gerücht ging es durch das Land. Schlesinger, der von der Stasi selbst Bespitzelte, kämpfte gegen den Rufmord energisch an, um seine Ehre wieder herzustellen. Es wird berichtet, dass sein damals siebzehnjähriger Sohn Jacob ihn auf seine Art getröstet haben soll: „Papa! das mit deiner Ehre und so. Wir haben jetzt Kapitalismus, und da zählt das nicht mehr.“
Nachzulesen sind die Monate bitterer Verleumdungs-Erfahrungen in der soeben erschienenen Biografie über Klaus Schlesinger im Berliner Aufbau Verlag.
Das gut zu lesende und spannende Buch, das anlässlich des 75. Geburtstags des Schriftstellers ediert wurde, stand am Donnerstagabend im Fokus eines Schlesinger-Abends, den der Pfingstberg-Förderverein in seinem Vereinshaus veranstaltete. Die in London und in Berlin lebende Literaturwissenschaftlerin Astrid Köhler hat sich auf den Weg gemacht, um den Menschen und Schriftsteller Klaus Schlesinger wieder „auferstehen“ zu lassen. Die Autorin stieß auf Zeitzeugen, befragte sie, sichtete Briefwechsel und fand bislang unveröffentlichtes Material, das aus Nachlässen Schlesingers und seinem literarischen Mentor Franz Fühmann sowie aus dem Archiv des einstigen Schriftstellerverbandes der DDR und dem Literaturarchiv Marbach stammt.
Astrid Köhler stellt einen Menschen vor, der den Zustand Berlins in seinen verschiedenen Facetten erlebte und in seinem schriftstellerischen Werk beleuchtete. Die Berliner Mauer wurde eines der wichtigsten Themen des Schriftstellers. Dabei konnte er auf das Leben der Menschen auf beiden Seiten der Mauer schauen und über sie schreiben. Lebenslang blieb er mit der Stadt verbunden. In Ostberlin, wo er aufwuchs und viele Freunde hatte, seine ersten schriftstellerischen Arbeiten vorlegte, wurde ihm „das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Geist und Macht unter den Bedingungen einer feudalistischen Struktur“ zuwider. Seine Übersiedlung nach Westberlin 1980 erwies sich als schmerzhafte Zäsur. Ab 1982 wohnte er neun Jahre in der Potsdamer Straße und war dort in der Hausbesetzerszene aktiv. In keinem Teil Deutschlands fühlte er sich wohl, auch nicht in dem wiedervereinigten von 1990. Er blieb seinen sozialen Idealen treu.
Von all dem berichtet Astrid Köhler, aber natürlich von den Büchern, die Klaus Schlesinger schrieb, auch von den Hörspielen, Drehbüchern für Filme und den Essays. Das Buch ist die „Geschichte eines Menschen, der herzlich und widerspenstig, umtriebig und verlässlich, als Erzähler ausschweifend und präzis“ war, schreibt die Biographin in ihrem „Vorwort“, das versucht, Klaus Schlesinger zu beschreiben. Sie las diesen und andere Texte aus ihrem Buch im Wechsel mit der Potsdamer Schauspielerin Jutta Wachowiak. Solch eine Rollenverteilung mit einem Profi erwies sich als ungünstig. Astrid Köhler konnte mit dem Vorlesen einfach nicht punkten. Erstaunlicherweise wirkte aber auch Jutta Wachowiak in der Lesung stellenweise unvorbereitet.
Die Schauspielerin las zudem köstliche Briefe, die der Schriftsteller in den sechziger Jahren an seinen Freund Dieter Dröder, genannt Ypsilon, nach Westberlin schrieb. Wenn schon Briefwechsel, meinte Schlesinger, dann müsse er literarisch sein. Damit würde man sogar noch Geld verdienen. Hierbei fand die Wachowiak den wunderbar ironischen sowie schnoddrig-direkten Berliner Ton, der auch Schlesinger zu Eigen war. Über weite Strecken wollte der Abend nach der Lesung zu einer Wachowiak-Veranstaltung abdriften. Von ihr ungewollt, musste die Schauspielerin Fragen zu ihrer Karriere am Deutschen Theater Berlin und in Essen beantworten. Nach längerer Zeit kam glücklicherweise das Thema Schlesinger wieder ins Gespräch. Ob sie ihn gekannt habe wollte eine Zuhörerin von Jutta Wachowiak wissen. Nein, leider nicht, war die Antwort. „Doch durch die Biographie von Astrid Köhler ist er mir nahe gekommen.“
Astrid Köhler, Klaus Schlesinger. Die Biographie, Aufbau Verlag Berlin, 26,99 Euro
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