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Kultur: Geheimnis der Freiheit

Tafelrunde Sanssouci über das Böse

Stand:

Tafelrunde Sanssouci über das Böse Man sagt, wer vom Bösen spricht, kennt das Gute auch. Folgt daraus, dass das Böse – wenigstens erkenntnistheoretisch - gar nicht so schlecht ist wie sein Ruf? Solche fundamentalen Fragen sind es, die bei der Tafelrunde Sanssouci in den Neuen Kammern diskutiert werden. Diesmal wurde „das Böse oder das Drama der Freiheit“ nach dem gleichnamigen Buchtitel des Philosophen Rüdiger Safranski behandelt, ja förmlich von zwei Seiten in die intellektuelle Zange genommen. Safranski, der zuletzt als Schiller-Biograph auf den Bestsellerlisten stand, erklärte, an Schopenhauer und Kant geschult, warum das Böse der „Preis der Freiheit“ wäre und Bischof Wolfgang Huber füllte manche Lücken, die von der neuzeitlichen Philosophie gerissen wurde, mit christlichen Auslegungen. Kein Streitgespräch also, das von MAZ-Chefredakteur Klaus Rost moderiert werden musste, sondern eher eine geistige Tour de Force mit brillanten Formulierungen zu existentiellen Begriffen. Schon die kindliche Erfahrung mit dem Bösen, so Huber, zeige die zwei Seiten des Phänomens. Wenn die Mutter sage, „du warst böse, deswegen bin ich böse“, lerne das Kind neben seiner Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse auch die Rechtfertigung des Bösen als „gerechte Strafe“ kennen. Genauso wurde das Böse in Form von Naturkatastrophen, Tod, Schmerzen und Leid von der gläubigen Menschheit lange Zeit als „sinnvoll“ und von Gott gewollt angesehen. Für Safranski liegt die historische Entwicklung deshalb auch dicht bei der individuellen Erfahrung mit dem Bösen. Das christlich-metaphysische Zeitalter, in dem selbst das Übel der Katastrophen noch in einen plausiblen Zusammenhang gesetzt werden konnte, endete für ihn beim großen Erdbeben in Lissabon 1755. Nach der Katastrophe mit 20000 Toten stand die Aufklärung vor einem geistigen Abgrund, so Safranski. „Was hat Gott sich dabei gedacht?“, war die Frage, mit der die Säkularisierung vom Glauben begann. Das Weltvertrauen wurde von nun an nicht mehr über Gott, sondern über Naturbeherrschung versucht herzustellen. Das leitete über zu dem nach Huber „eigentlich Schrecklichsten“, dem „angemalten Bösen“, das erfolgreich vorgibt, „gut“ zu sein. Die Verbrechen des Nationalsozialismus seien gerade auch wegen dieser verführenden Tarnung des Bösen so bodenlos. Daraus spräche ein „entfesselter Glaube des Menschen an sich selbst“. Huber mahnte zur genauen Prüfung, „wenn man meint, selber auf der Seite des Guten zu stehen.“ Und was ist mit der menschlichen Freiheit? Für Safranski bedeute sie, auch das Böse zu wählen, ein Hilfsmittel des christlichen Zeitalters, um Gott bei der Zurechenbarkeit des Bösen zu entlasten. Der Mensch hat die Freiheit erlangt, zu sagen, „ich bin so frei, zerstörerisch zu sein und das Nichts zu denken.“ In der Moderne nun habe es starke Tendenzen gegeben, diese Freiheit „weg zu denken“, wie in der Hirnforschung, die nach ihrem deterministischen Modell das Böse als reinen „Betriebsunfall der Synapsen“ ansehen würde. Solche Entwicklungen sind für Safranski „desaströs“, er appellierte, die „produktive Fiktion der Freiheit“ aufrecht zu erhalten, um die Würde des Einzelnen zu sichern, denn zur Würde gehöre es, „dass man böse sein kann.“ Der Philosoph nannte die Freiheit „ein Mysterium“, der Bischof „ein Geheimnis“, das man nicht enträtseln könne, der Mensch sei mehr als die Summe seiner Gene. Um die Freiheit zu garantieren und gleichzeitig das Böse zu regulieren, schlug Safranski ein System der Gewaltenteilung vor, das gegen die „wohlgelaunte Vergessenheit“ gegenüber den zurückliegenden Barbareien helfe. Huber ein „produktives Misstrauen“: „Mein Misstrauen gegenüber dem anderen darf nicht größer sein als das Misstrauen gegen mich selbst.“ Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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