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Kultur: Geistiger Sanitätsdienst

Vor 50 Jahren starb der Dichter Reinhold Schneider / Er lebte sechs Jahre in Potsdam / Sonntagslesung in der Villa Quandt

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Im April 1932 zieht Reinhold Schneider nach Potsdam. Der damals 29-Jährige, in Baden-Baden geboren, hat bis dahin seinen Lebensunterhalt als Übersetzer und Fremdsprachenkorrespondent in Dresden und in Berlin verdient. In Potsdam schreibt er sein Buch „Die Hohenzollern. Tragik und Königtum“ zu Ende. 1933 kommt es auf den Markt.

In der einstigen Residenzstadt der Preußenkönige erlebt Reinhold Schneider auch die Machtübernahme Hitlers, den unsäglichen „Tag von Potsdam“. Und er vernimmt aus der Nachbarwohnung, den „vom Sender übertragenen Lärm der Massenversammlungen ..., peitschende Stimmen, unter denen das Un- getüm aufjauchzte; dann die eine, mit keiner andern zu vergleichenden Stimme, die unablässig lügend niemals log; denn in ihr sagte sich die heraufgärende Macht unverhüllt aus“ (Verhüllter Tag). Diese menschenverachtende Macht wird Schneider besonders deutlich, als er 1934 in einem kleinen Freundeskreis erstmals von den Greueltaten im Konzentrationslager Dachau hört: „Das Leiden in den Lagern und Gefängnissen ging mir nun nicht mehr von der Seele“. Reinhold Schneider schreibt daraufhin die Erzählung „Der Tröster“. Darin wird der Jesuitenpater und Lyriker Friedrich von Spee (1591-1635) zur Hauptgestalt. Er war einer der kühnsten Ankläger des Hexenwahns und seiner grausamen Praktiken. Immer stärker prangert Schneider die nationalsozialistische Diktatur an. Er übt einen „geistigen Sanitätsdienst“ an Menschen in Gefängnissen, Gefangenen- und Konzentrationslagern, an den Fronten des Krieges kämpfenden und geängstigten Menschen aus. Sein Werk wird in Abschriften oder Hektogrammen, manchmal auch gedruckt, millionenfach verbreitet. Beispielsweise sein Gedicht „Allein den Betern kann es noch gelingen, / Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten / Und diese Welt den richtenden Gewalten / Durch ein geheiligt Leben abzuringen.“ Sein Roman „Las Casas vor Karl V.“ über die spanischen Eroberungen in Südamerika prangert ebenfalls und fast unverschlüsselt das Terrorregime an. Nur knapp entgeht Schneider kurz vor Kriegsende einem Hochverratsprozess. Man entdeckt in Rzeszow, das im besetzten östlichen Südpolen liegt, 5000 Exemplare einer Anthologie mit seinen Gedichten und Prosatexten, hergestellt in einer polnischen Druckerei. Damals wohnt der Dichter bereits schon in Freiburg und befindet sich in einem Krankenhaus, auf eine Operation wartend. Die Ärzte schützen ihn vor einer Verhaftung. Als er wieder nach Hause kommt, haben die Franzosen die Stadt schon besetzt.

Von Potsdam verabschiedet sich Reinhold Schneider im Jahre 1938. „Solange ich in Berlin und Potsdam lebte, habe ich die Sehnsucht nach dem Walde und ernsten einsamen Höhen nicht beschwichtigen können. Diese Bilder standen vor mir im Gewühle der mir völlig fremd gebliebenen Stadt, und meine Sehnsucht ist in diesen Jahren harter Erfahrung immer stärker geworden ...“

Nach 1945 wird Schneider zu einer der engagiertesten Stimmen des neuen Deutschlands. Er wendet sich leidenschaftlich gegen jegliche militärische Aufrüstung. Und so wird er verehrt und missverstanden, abgelehnt und gewürdigt. 1956 wird ihm der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ verliehen.

Reinhold Schneider, der vor allem ein großer Europäer war – seine formvollendet geschriebenen Dichtungen berühren immer wieder die Geschichte des Abendlandes -, starb an den Folgen eines Unfalls am 6. April 1958, vor 50 Jahren.

In Potsdam, wo er sechs Jahre lebt, erinnert eine Tafel am Haus in der Birkenstraße 1 an den Dichter, jedoch eher marginal. Der Gedenktext ist mehr seinem Freund Jochen Klepper gewidmet, der Schneider hier des öfteren besucht. Die Schrift der Erinnerungstafel ist jedoch stark verwittert. Sie ist kaum zu entziffern.

Lesung aus u.a. aus „Verhüllter Tag“ von Reinhold Schneider am Sonntag, 4. Mai, 11 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47. Telefonische Vorbestellungen unter 0331/2804103. Eine Veranstaltung des Brandenburgischen Literaturbüros.

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