Kultur: Geistiges Nomadentum
„Sechsmalzehn“: Die Jubiläumsschau von Hans Hendrik Grimmling als Doppelpack im Kunstraum und bei Sperl
Stand:
In krampfhaften Verschlingungen haben sich aufstrebende und fallende Formen ineinander verschränkt und verstrickt. Schwarz ringt mit Weiß, mit Gelb, mit Orange. Und setzt sich durch, immer wieder, kraftvoll, bestimmt. Der „deutsche alltag“, quadratmeterweise in Acryl auf Leinwand gebannt und zu einem sechsteiligen Bilderpuzzle zusammengefügt. Das Ganze zehn Mal. In zehn monumentalen Variationen wird das Generalthema „deutscher alltag“ auf insgesamt 60 Leinwänden durchkonjugiert. 10 x 6 in der Ausstellung „SECHSMALZEHN“: ob Zufall oder künstlerische Koketterie: In der Jubiläumsschau, zu der die Sperl Galerie gemeinsam mit dem Kunstraum Potsdam eingeladen hat, wird dem in Berlin lebenden Maler Hans Hendrik Grimmling aus Anlass seines 60. Geburtstages mit der Potsdamer Doppelausstellung große Ehre zuteil.
Bei der Auswahl der gezeigten Malerei haben sich die Ausstellungsmacher auf Arbeiten unterschiedlichster Couleur aus der Zeit seit der Wende beschränkt. Die aus dem Jahr 1989 datierenden „Mauerstücke“ und frühen Beispiele der bis heute andauernden Auseinandersetzung Grimmlings mit der Figur des Argonauten markieren dabei den Anfang. Neubeginn und mühsamer innerer Transit des 1986 im Westen angekommenen Künstlers, der in den Bildern dieser Jahre seine offene Flanken zeigt.
Das Bild des Argonauten ist für den Maler seitdem zur Metapher geworden. Gemeint als inneren Aufbruch und geistiges Nomadentum. Immer wieder begegnen wir in der Doppelausstellung den Argonautenspuren. Auch wenn die Figur des Argonauten in den später entstandenen Blättern aus dem Zyklus „Argonauten nach Chile“ gar nicht mehr in Erscheinung tritt.
Titel wie „windstille“ (2002), „heimfahrt“ (2003) und „blindfahrt“ (2004) markieren vorangegangene Stationen der ewigen Reise. Künstler und Argonaut sind für den Maler Grimmling eins, so wie das Unterwegssein für ihn zum Sinnbild seiner Existenz als Künstler wird: „der künstler ist immer ein argonaut. er zieht mit seiner kunst in imaginationen aus, um etwas heimzuholen. (...) der künstler ist unterwegs mit der behauptung: ich finde die wahrheit.“
Grimmlings Suche nach Wahrheit ist drängend und voller Leidenschaft. Sie erduldet keinen Aufschub, sondern entspringt aus innerer Notwendigkeit und wilder Entschlossenheit. Entsprechend wurde dem Künstler vielfach, so auch in der Laudatio, die Christoph Tannert bei der Eröffnung der Ausstellung am Sonntag Nachmittag im Kunstraum hielt, eine stürmische, unversöhnliche, ja aufmüpfige Haltung attestiert. Diese Opposition ist es auch, die die Kompositionen des Malers mit heißer Glut erfüllt. Immer sind Kräfte am Werk, die sich einander messen, miteinander ringen und aus denen heraus die für Grimmlings Bildsprache so bezeichnende Wucht erwächst. Auch wenn der Maler dabei in jüngster Zeit mehr und mehr beherzt in die Farbtöpfe zu greifen scheint, ist und bleibt es das Schwarz, das die Kompositionen mit einer geradezu magnetischen Kraft im Innersten zusammenhält. Die in heiterer Manier von den Wänden leuchtenden monumentalen Leinwände des Typs „julivier“ und „aprileins“ aus dem Jahr 2006 ergäben ohne das – wenn auch nur sparsam eingesetzte – Schwarz am Ende ein seiner Leidenschaft entledigtes Bild. Das Schwarz hält diese Bilder am Leben, verleiht ihnen innere Vitalität. Immer dann, wenn sich der Maler auf den Dialog zwischen Schwarz und Weiß oder auf den ruhigen Kontrast zwischen Schwarz und wenigen anderen Farben konzentriert, gewinnen seine Bilder an Ausdruck und Eindringlichkeit. Was auch damit zu tun hat, dass das Schwarz bei Grimmling nie einfach nur Schwarz ist.
Dort, wo der Maler die unter dem Schwarz hindurch schimmernden Farbspuren preisgibt, erscheint das Schwarz wie ein abschließender Firnis, wie eine schützende Haut. Es ist samtig, sinnlich und verhilft den Kompositionen Grimmlings zu einem inneren Gleichgewicht. Je komplexer der Bildaufbau, desto tragender die Rolle des Netzwerks der sich gitterartig kreuzenden schwarzen Diagonalen. Dergestalt wird Schwarz als Konstruktionsprinzip zum Rückgrat dieser Bilder.
In den neueren Bildschöpfungen, in denen der Maler der eher monolithischen Formensprache früherer Jahre eine kleinteiligere Arbeitsweise entgegensetzt, ist dies deutlich zu sehen. Im Ergebnis entstehen jene Farbspur-Verknotungen, die angesichts der in alle Richtungen durchgespielten Fassungen des „deutschen alltags“ zu einer regelrechten Herausforderung an unsere Netzhaut werden. Ob Gordischer Knoten, Vexierbild oder Irrungen und Wirrungen: Deutungsmöglichkeiten und Erklärungsmuster für dieses raumgreifende Statement des Malers sind nach allen Seiten hin offen.
Und doch ist es gerade die Vehemenz, mit der das überaus dominante Thema im Kunstraum Potsdam großflächig ausgebreitet wird, die uns dazu auffordert, uns auf die Suche zu begeben: auf die Suche nach einem Künstler, der mit seinen Bildern Spuren legt, auf denen er gefunden werden will.
Bis zum 16.9. im Kunstraum, Schiffbauergasse; bis 23.9 in der Sperl Galerie, Mittelstraße 30, geöffnet jeweils Mi-So von 12 bis 18 Uhr. Es gibt ein Katalog.
Almut Andreae
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