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Kultur: Geschobene Stühle oder Was ist neue Musik? Potsdamer Komponistenreport Nr. 2

Diesmal war die Teilnehmerrunde kleiner als beim ersten Treffen der Potsdamer Komponistengruppe vor zwei Monaten. Gisbert Näther fehlte, weil der Dienstplan eines Hornisten des Babelsberger Filmorchesters Woche für Woche von Angebot und Nachfrage im schwierigen Filmgeschäft diktiert wird.

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Diesmal war die Teilnehmerrunde kleiner als beim ersten Treffen der Potsdamer Komponistengruppe vor zwei Monaten. Gisbert Näther fehlte, weil der Dienstplan eines Hornisten des Babelsberger Filmorchesters Woche für Woche von Angebot und Nachfrage im schwierigen Filmgeschäft diktiert wird. Und Alex Nowitz, der in seinem „freischaffenden Künstlerdasein dem Selbstmanagement unterworfen ist“, sieht sich in der Zeitplanung immer wieder von unabwendbaren Verpflichtungen und unvorhersehbaren Arbeitsaufgaben überrascht. So saßen um den grünen Tisch im Direktorzimmer der Städtischen Musikschule nur Bernhard Opitz, Ludwig Walter und der Gastgeber Wolfgang Thiel - alle Drei in Vorfreude auf die Wiederaufführung ihrer im BUGA- Jahr entstandenen Bläserserenaden, die auf Initiative von Brigitte Faber-Schmidt, der Geschäftsführerin des Kulturland Brandenburg e.V., zu einer Buchpräsentation auf der Freundschaftsinsel erklingen werden. Getroffen hatte man sich jedoch, um das seinerzeit begonnene Gespräch über Probleme des Komponierens hier und heute fortzusetzen. Auch in Potsdam entstehen Jahr für Jahr neue Werke. Aber: Was ist (davon) „neue“ Musik ? Neuheit hat zu tun mit innovativer Originalität und einer daraus sich ergebenden Kraft der Authentizität. Aber die Vorstellungen, Meinungen und Wünsche bezüglich dessen, was in der Kunst wirklich neu sei, gehen heutzutage weit auseinander. Wenn allerdings als einzige kompositorische Bezugspunkte nur noch klingendes Material und subjektive Entscheidung bei Kündigung aller traditionellen Bezüge übrigbleiben, muss konsequenterweise auch das planvoll betriebene Schieben von Stühlen auf laminatbelegten Fußböden (wie unlängst als Ergebnis eines Stuttgarter „Neue-Musik-in-Schulen-Symposiums“ vorgeführt) in seinen akustischen Resultaten als „Musikwerk“ anerkannt werden. Hier ist jedoch für die Drei am grünen Tisch eine Grenze überschritten, die bei einer Unterscheidung zwischen Musik im engeren und einer Ars acustica im weiteren Sinne ebenso wie zwischen ernsthafter künstlerischer Arbeit und bloßem Studentenulk nach wie vor respektiert werden sollte. Bernhard Opitz sieht im unmittelbaren Gebrauchtwerden seiner Musik einen wichtigen sinngebenden Impuls für die kompositorische Arbeit. Musik, die für konkrete Anlässe und Ensembles entsteht und deren musikalische Stärken und Schwächen der Komponist professionell nutzt und berücksichtigt. Auch der Aspekt der subjektiven Ehrlichkeit im Schaffen wurde angesprochen. Kein kalkuliertes Nachäffen von Moden, kein erfolgserheischendes Aufsetzen „falscher Nasen“, keine Angst vor dem Wohlklang. Doch wodurch kann neue Musik für Menschen bedeutungsvoll werden? Warum gewinnen beispielsweise die auf den ersten Blick oft verstörend einfach anmutenden Stücke des Esten Arvo Pärt eine solch außergewöhnliche Wirkung auf nicht wenige Zeitgenossen, während viele mit weit größerem Raffinement und intellektuellem Aufwand gebauten Kompositionen kalt lassen und anstelle innerer Anteilnahme lediglich jenes unverbindliche „Interesse“ wecken? Liegt dies allein an seiner geschickten Einbindung herkömmlicher Mittel in neue Zusammenhänge? Gewiss erleichtern die Traditionsbezüge (wie etwa Pärts zur Frührenaissance) dem Hörer den Zugang zu dieser Musik, erklären jedoch nicht ihre spezifische Aura, die sie zu Fenstern ins Transzendentale werden lässt. Dies hat gewiss viel mit der Persönlichkeit des Autors zu tun, aber auch mit vorhandenen seelischen und nicht allein ästhetischen Bedürfnissen der Zuhörerschaft. Antworten auf diese Fragen gab es an diesem Vormittag nur wenige. Wenn es dann wieder ans Setzen der eigenen Notenköpfe geht, ist in den kompositorischen Entscheidungen jeder auf sich allein gestellt. Aber der Wunsch nach weiterem Gedankenaustausch ist unvermindert vorhanden. Wolfgang Thiel

Wolfgang Thiel

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