Kultur: Gespaltenes „Amiland“
Junge Filmemacher zeichnen Gesellschaftsporträts
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Es ist ein seltsam Ding um die Deutschen und ihr Verhältnis zu den USA. Wohl kaum ein Land wird so leidenschaftlich diskutiert, sei“s mit Respekt, Abscheu, Hingabe. Egal ist es keinem, das zeigt die unermüdliche Berichterstattung über jede kleinste Wendung im Wahlkampf. Alle wollen dieses Land begreifen, keinem gelingt es wirklich; irgendetwas jedoch fesselt uns am System Amerika, am „American Dream“. Der bröckelt zwar, ist aber noch nicht aus. Die Frage, was davon heute übrig ist, war in zwei sehr sehenswerten Filmen bei den „Sehsüchten“ Thema. Hätte es eines Beweises für die politische Aktualität des Festivals bedurft, hier wäre er gewesen.
Der Dokumentarfilm „Amiland“ von Florian Schewe, der im Rahmen des Produzentenpreises läuft, ist eine Reise durch die USA. Ausgangspunkt war die Route 40, die das Land von Osten nach West durchschneidet. „Wir sind einfach losgefahren und haben uns vor Ort mit den Menschen unterhalten“, erzählt der Regisseur, der im dritten Jahr an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen studiert. „Je mehr ich vom Land gesehen habe, desto weniger kann ich es greifen“.
Nicht offizielle Persönlichkeiten hat das Team befragt, sondern ausschließlich Zivilisten. Schwarze Mütter, arme Greise, bewaffnete Gang-Kids genauso wie weiße Banker, Soldaten, Feuerwehrmänner. Was herausgekommen ist, mag willkürlich sein, bildet aber gerade deshalb das sensible, berührende Porträt einer vielgesichtigen Gesellschaft, die – trotz aller Polit-Propaganda – gespalten ist. Zwischen arm und reich, schwarz und weiß, Patriotismus und Heimatlosigkeit.
Fatima Geza Abdollahyan greift mit ihrem Beitrag das Thema auf. „Dear Terrorist – How to be a Muslim in the States“ ist, was der Titel verspricht: eine an Muslime in den USA gerichtete, ironische, polarisierende Gebrauchsanweisung für ein Leben nach 9/11. Trotz seiner Kürze von 18 Minuten liefert der Film eine überzeugende Idee davon, mit welchen Vorurteilen und Einschränkungen Muslime in den Staaten seit 2001 und vor allem seit dem sogenannten PATRIOT act leben müssen. Ein Comic-Insert zwischen Southpark und Monty Python zeigt in humorvoller Ahnungslosigkeit einen bärtigen, mit US-Insignien jonglierenden Moslem, der am Ende geknickt und ohne Bart, in Shorts und Basecap mit einer US-Flagge wedelt. Das mit Hysterie und Angst aufgeladene System Amerika, sagt der Film, verstümmelt Individualität. Und damit die Grundfeiler seiner Ideologie.
Der Block, in dem „Dear Terrorist“ lief, hieß passend: „Systeme“. Neben einigen eher unbedarften oder einfach ästhetischen Beiträgen überzeugten hier zwei weitere Kurzfilme mit originellen Ideen zu dem, was uns unbewusst steuert. „The Baby“ vom Münchner HFF-Studenten Falco Jagau zeigt, wie man in 30 Minuten einen Politthriller erzählen kann, der es bildlich, schauspielerisch und soundtechnisch in sich hat. Der kürzeste, knalligste, subversivste Beitrag kam von Kristina Magdalena Henn, ebenfalls von der HFF München. In drei Minuten erzählt und bricht sie nicht nur ein filmisches Genre, den Western, sondern umreißt auch die absurde, hasenfüßige, menschliche Hingabe an Systeme, die nicht schützen, sondern ausbluten (hier Parkscheinautomaten). Und beschert uns nebenbei den wohl besten, treffendsten Titel des Festivals: „Häh?“ Lena Schneider
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