Kultur: Gespenstisch
Hitlers letzte Titelrolle: Filmprojekt in Diskussion
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Engagierte junge Leute dürfen fast alles. Nur nicht Nazi werden. Wenn dieses Engagement auch noch in die richtige Richtung geht, also sich den Nationalsozialismus zur kritischen Betrachtung wählt, dann gibt es garantiert Applaus. Das Evangelische Gymnasium auf Hermannswerder darf als privilegierter Fleck in der brandenburgischen Bildungslandschaft gelten. Wie abgeschirmt von der Außenwelt liegt das altehrwürdige Backsteingebäude auf der schneebedeckten Havelinsel. Ein Film von ehemaligen Schülern soll hier am Dienstagabend gezeigt und diskutiert werden. Die Projektleiter Patrick Braun und Anne Mattigk haben sich das große Thema ausgesucht: Das „Dritte Reich“, der Nationalsozialismus am Beispiel des Kinoerfolgs „Der Untergang“, der die letzten Tage im Führerbunker nachzeichnet.
Ihr Film funktioniert so: In eine Fernseh-Talkrunde sitzen eine Moderatorin und vier Experten. Ein Schauspieler, ein Psychologe, eine rechtsextreme Parteivorsitzende und ein jüdischer Bestsellerautor. Bald merkt der Zuschauer, dass hier endlos Phrasen gedroschen werden. Dass diese Erkenntnis auf sich warten lässt, liegt nur am grottenschlechten Ton des Films. Eigentlich ist fast nichts zu verstehen. In diese labernde Gesprächsrunde sind Filmausschnitte und Interviews geschnitten. Die Spielfilm-Einblendungen sind auf dem Niveau von schlechten Amateuraufnahmen. Der Titel, „Der Stuhlgang“ parodiert in abstrusester Art sein Oscar nominiertes Vorbild. Man bedient sich des Registers des Fäkalen, aus „Mein Kampf“ wird „Mein Scheiß“. Engagement gegen Nazis und den Holocaust: Note eins, Umsetzung der Idee, sechs.
Aber nicht nur der Film selbst ist gespenstisch. Auch die anschließende Diskussion hat etwas Gruseliges. Die Macher geben zu, dass es ihnen gar nicht um eine Aussage ginge, dazu sähen sie sich als junge Studenten gar nicht in der Lage. Auch nicht um das große Thema Hitler, Nazi-Deutschland und die deutsche Geschichte. Sie wundern sich nur, wieso sich niemand durch die provokative Machart des Films auf den Schlips getreten fühlte. Braun und Mattigk winden sich in einer von jungen Menschen nicht anders zu erwartenden Geste der Provokation, die hier jedoch hilfsbedürftig wirkt. Ihnen geht es um die Verantwortung „jedes Einzelnen“, um „Erinnerungskultur“ und die Aufgabe der „Geschichtsvermittlung“, die sie von den Politikern, den Schulen und ganz besonders von den Medien vernachlässigt sehen. Eigentlich aber spricht aus den Amateurfilmemachern eine fast schon absolute Verunsicherung. „Den Medien“ vertrauen sie genauso wenig wie „den Politikern“. Diese trotzige Anti-Haltung ist fast schon „süß“, wäre sie nicht ein erschreckender Ausdruck der Orientierungslosigkeit, die man von wohl behüteten Gymnasiasten nicht erwartet hätte.
Trotzdem hat der Film erreicht, einen Referenten des Bildungsministeriums, einen CDU-Stadtverordneten, diverse Lehrer und Schulleiter auf die Insel zu holen. Das liegt an den Experteninterviews, die zum Thema „Deutsche Geschichte und ihre Darstellung in den Medien“ geführt und in den Film eingearbeitet wurden. So haben Braun und Malligk auch Bildungsminister Rupprecht und die Potsdamer Politiker Katherina Reiche und Andrea Wicklein gesprochen. Man trägt Sorge, in „Hitlers letzte Titelrolle“ könnten die Redebeiträge dieser Repräsentanten irgendwie negativ herüber kommen. So nimmt der Referent seinen Minister in Schutz, der Schulleiter weist auf die engen Lehrpläne hin und der CDU-Stadtverordnete entschuldigt die Parteigegnerin von der SPD.
Mit diesem Verhalten wurden die jungen Filmemacher in ihren Ängsten eher bestätigt: Die Runde hat nichts gegen das bedrückende, bald allumfassende Misstrauen in die Welt der ehemaligen Gymnasiasten ausrichten können. Erschreckend: Hier wurde gelehrt, zu misstrauen, ohne zu zeigen, wie wichtig es ist, gleichzeitig auch an etwas zu glauben.
Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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