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Kultur: Getanztes Brasilien

Die 14. Potsdamer Tanztage eröffneten mit einer „Choreographie zum Hören“

Die 14. Potsdamer Tanztage eröffneten mit einer „Choreographie zum Hören“ Man kann sich die Situation gut ausmalen. Markt in einer brasilianischen Stadt. Sonne, blauer Himmel, reges Treiben, Autohupen. Mittendrin sitzt ein junger Straßenmusiker, spielt auf seiner Gitarre, singt, plaudert mit den Vorüberziehenden über das Leben, das Lieben, die Welt. Die brasilianische Kompanie „Quasar Companhia de Danca“ hat am Mittwochabend per Hörspiel „Musik der Straße“ aus ihrer Heimat zu den 14. Potsdamer Tanztagen in der fabrik mitgebracht. Zur Eröffnung des Festivals zeigen die sechs jungen Tänzer in dem Stück „Coreografia para ouvir“(Choreographie zum Hören), wie sich die traditionelle Musik aus dem Norden Brasiliens in zeitgenössischen Tanz transformieren lässt. Sie setzen die sanften Lieder einer stimmgewaltigen Padrona in Szene, die rhythmischen Trommelsongs einer brasilianischen Band, die Romanzen eines Schnulzensängers. Mit viel Fantasie, Humor und einer ästhetischen Gewandtheit, die die Augen bannt. Das von Henrique Rodovalho choreographierte Stück beginnt mit einer Frau im kurzen, gerade geschnittenen Tüllkleid. Sie steht im Scheinwerferkegel auf einer leeren Bühne, lässt die Stimmen aus dem Off durch ihren Körper zucken. Sie kniet sich, dreht sich, verbiegt sich, springt, steht still. Eine zweite Tänzerin gleitet in den Tanz hinein, dann eine dritte und nacheinander drei Tänzer in langen, weiten Stoffhosen und freiem Oberkörper. Wie beim Staffellauf übergeben sie den Tanz-Stab, tanzen mit synchroner Perfektion, verschwinden von der Bühne, fließen von einer anderen Seite wieder in die Szene hinein. Die aus einer brasilianischen Fernsehreportage übernommene Geräuschkulisse ist der rote Faden des Stückes, sie läuft in Fragmenten vom Band, gibt mit Rasseln, Trommel, Gitarre, Geige, Flöte oder Mundharmonika Rhythmus und Melodie für die tänzerischen Episoden vor. Ohne aber Bewegung und Klang ineinander übergehen zu lassen. Beide stehen für sich. Der Tanz beginnt in der Stille und endet, wenn die Stimmen und Instrumente schon lange im Raum verhallt sind. Und doch gehört beides untrennbar zusammen. Tradition und die aus ihr erwachsende Körpersprache der Gegenwart. Immer wieder tauchen Motive des zeitgenössischen Tanzes auf, das geschmeidige Kopfkreisen, ein durch den Körper gleitendes Schütteln, abrupt beendete Bewegungen, zeitlupenhafte Figuren, die in rasend schnelle Bewegungen übergehen. Das ist die Pflicht im Programm der Tänzer, die Kür sind ihre spaßigen wie fantasievollen, ihre akrobatischen wie klassischen Einlagen, die von den Tänzern mit einer Komik präsentiert werden, die den anspruchsvollen Tanz als vergnüglich leichtes Spiel erscheinen lässt. Wunderschön der gelangweilte Typ, der die Hände um eine Tänzerin legt. Starr, unbeteiligt steht er da, seine Arme ein Tanzreifen, ein Rahmen für ihre geschmeidigen Figuren. Witzig die Szene, in der zwei Tänzer eine Frau umgarnen. Sie bauen in ihre Werbestrategie akrobatische Hiphopfiguren ein, springen kraftvoll durch den Raum, in Querlage, knapp über dem Boden, klassisch mit graziöser Körperstreckung, synchron oder in einer Einmann-Show. In zehn Ländern haben die Brasilianer das Stück über ihr Land aufgeführt, bevor sie mit ihm ein Stück Heimat nach Potsdam brachten. Auf hohem tänzerischen Niveau verstehen sie es, ihre Körper erzählen zu lassen, als einfühlsames, Gestern und Heute verbindendes Sprachrohr. Nur ein winziges Problem hat die Choreographie. Die Fragmente reihen sich zwar nahtlos aneinander, nur beginnen sich zum Schluss hin Klänge zu wiederholen, die Spannungskurve bleibt auf einem Level. Allein die grandiose Bewegungsvielfalt der Tänzer fängt dieses Manko mit Brillanz auf. Marion Hartig

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