Kultur: Geteiltes Land zu Wasser
Die Koreanerin Eun Sook Lee lädt auf ihre ungewöhnliche Kunstplattform vor Schloss Cecilienhof ein
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Die schwimmende Plattform der New Potsdam Conference liegt in gleißender Sonne auf dem Wasser des Jungfernsees. Ziemlich weit weg, fast in der Fahrrinne des Flussverkehrs. Ob sich jemand gerade unter den beiden Halbkugeln aufhält, kann man auf die Entfernung nicht erkennen. Am Ufer, unterhalb von Schloss Cecilienhof und der Grotte, weist ein neonbuntes Schild auf das dort dümpelnde Kunstwerk der Koreanerin Eun Sook Lee.
Eine Handynummer soll angerufen werden: „Auf ein Zeichen holen wir Sie gerne mit dem Boot vom Ufer ab“. Englisch und Koreanisch würden gesprochen. Fährmann, hol rüber. Es klingelt nur zweimal, eine Gestalt in Shorts und gelben Sonnenhut wird erkennbar, winkt und steigt sofort in ein Paddelboot, das langsam zur Uferstelle schippert. Die Nussschale macht nicht den stabilsten Eindruck. Eun Sook Lee ist entwaffnend ehrlich. Sie rudere zum ersten Mal, erklärt sie fröhlich. Doch da ist man schon mitten auf dem Wasser. Der Blick fällt auf eine Rettungsweste auf dem Boden des Bootes, gerade als sich die Ruder in den Seerosen verfangen wollen: Eun Sook Lee lächelt: „Ich kann nicht schwimmen“.
Dann auf der Pontonfläche. Zwei Stahliglus, je zu einer Seite hin offen, sind auf eine glatte Holzfläche montiert. In dem Gerüst hängen Luftkissen aus durchsichtigem Kunststoff, in denen Fäden und Stoffteile in den Neonfarben Rot, Gelb, Grün und Pink eingearbeitet wurden. „Die Ziegel des gemeinsamen Hauses“, erklärt Eun Sook Lee. Aus demselben Material drei Stühle. „Der vierte ist gestern vom Wind fortgerissen worden und untergegangen“, bedauert die Künstlerin. In der Mitte der schwimmenden Insel ist eine kreisrunde Öffnung in den Boden gesägt, in einem Netz treiben Lebensmittel.
Eun Sook Lee lebt seit dem 16. Juli in diesen offenen Iglus, Tag und Nacht. Nichts darauf könnte Schatten spenden. Was sie den ganzen Tag denn mache? Wenn keine Besucher kämen, würde sie die Natur beobachten. Eine Entenfamilie besucht sie regelmäßig. Das Interesse an der Aktion sei überraschend groß. Viele schwämmen herüber und erkundigen sich nach der seltsamen Installation. Neulich erzählte sie zwei Studenten stundenlang über ihre Arbeit und ihr Leben. Schließlich heiße das Werk ja „Neue Potsdam Konferenz“, es soll geredet werden. Auf der Plattform gebe es daher keinen Beginn und kein Ende. Man könne auch um 2 Uhr nachts kommen, heißt es einladend. „Die Deutschen“, sagt Eun Sook Lee, „würden wegen ihrer eigenen Geschichte viel Verständnis für sie mitbringen“.
In der Dunkelheit erleuchten Schwarzlichtröhren die Installation. Die neonfarbenen Textilstücke, die Eun Sook Lee mit ihrer eigenen Maschine in die durchsichtige Polyesterfolie einarbeitet, leuchten geheimnisvoll und erzeugen einen dreidimensionalen Effekt. Die zweigeteilte Installation symbolisiert die Teilung von Korea. Die wurde vor 61 Jahren gegenüber im Schloss Cecilienhof auf der Potsdamer Konferenz beschlossen. Eun Sook Lee sagt, sie habe das alles eigentlich für ihren Vater gemacht, dessen erste Frau mit ihren Stiefgeschwistern noch in Nordkorea lebe. Es gebe keinen Austausch zwischen den Ländern. Sie hätten keine Information über die Familie. Eun Sook Lee wünschte sich, dass ihr 92-jähriger Vater noch einmal seine Kinder sehen könnte.
Geplant war, auf das koreanische Nationalschicksal im Schloss selbst hinzuweisen. Doch dort hieß es: Wir machen keine Kunstausstellungen. „Dann gehen wir auf das Wasser“, schlug ihr Kurator Thomas Klasen vor. Eun Sook Lee erzählt, wie ihnen das Projekt langsam über den Kopf gewachsen sei. Material besorgen, Genehmigung vom Schifffahrtsamt beantragen, den hilfsbereiten Potsdamer Seesportclub davon zu überzeugen, zu helfen.
Eun Sook Lee berichtet, woher die Kraft und Energie für solche Aktionen stammt. Vor Jahren fing ihre Werkstatt in Seoul Flammen, 30 Prozent ihrer Haut verbrannten. Nach sechs Monaten im Krankenhaus und acht plastischen Operationen war Eun Sook Lee klar, dass ihr Thema fortan das Leben und seine Vergänglichkeit sein müsse. Ihre Arbeiten, zumeist auch aus auf UV-Licht reagierenden Folien, zeigte sie in mehreren Ausstellungen, in Frankfurt, letztes Jahr in Berlin und zur Zeit in Shenyang, Nordchina.
Ängste scheint sie nicht mehr zu kennen. Weder vor der Einsamkeit, alleine auf ihrer schwimmenden Insel, noch vor dem feindlichen Element Wasser. „Aber wenn ich noch einmal ein Projekt auf dem Wasser mache, lerne ich schwimmen“, verspricht sie lachend.
Bis zum 2. August jederzeit Besuchszeit, auch nachts. Einfach anrufen: Eun Sook Lee 0174/6207154
Matthias Hassenpflug
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