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Kultur: Gewonnen
Mit Esprit: „Timm Thaler“ als Kapitalismuskritik
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Es ist ein Klassiker des Kinderbuchs, von Generationen verschlungen, verfilmt – und jetzt auch auf der Bühne des Hans Otto Theaters zu sehen: Am Donnerstag feierte das Stück „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ in der Reithalle Premiere, und man erlebte genau das, was man von einem Theaterstück für Kinder erwarten darf: eine rauschend-liebevolle Inszenierung.
Klar, die Geschichte des Waisenjungen Timm Thaler, der in einem mephistophelischen Pakt sein Lachen gegen die Fähigkeit eintauscht, jede Wette zu gewinnen, ist bereits 1962 erschienen und hat sich eine Akklimatisierung an die Moderne redlich verdient, schließlich will man ja das junge Publikum irgendwie hinter dem Ofen hervorlocken. Das gelingt erfrischend, ohne anbiedernd zu sein: Timm erfährt eben am Handy vom Tod seines Vaters, der Dialog mit einem Freund gerät zum Rap und auch das Bühnendesign (Alexandra Hahn) hat etwas Spacig-Futuristisches. Vor allem aber ist das Stück quicklebendig.
Diese Lebendigkeit liegt aber auch an den hervorragenden Protagonisten: Timm (Bardo Böhlefeld) legt eine erfrischende Hyperaktivität an den Tag, eine Mischung aus kindlicher Naivität auf dem Sprung zum Erwachsensein, sein Widersacher Baron Lefuet (Björn Geske) – „Lefuet“ ist nichts weiter als ein Anagramm zu „Teufel“ – strahlt eine eisige Kälte aus, in einer Maskerade, die den Verzicht auf die klassische diabolische Ikonografie erlaubt. Dass sämtliche Nebenrollen – und das sind einige – auf Josip Culjak und Friederike Walke verteilt werden, lässt das Stück zu einem Rollenkarussell werden: Mit wie viel Spielfreude sich die beiden Darsteller in ihre Rollen werfen, lässt einen einfach nur staunen.
Somit schafft die Inszenierung die Herausforderung, Kinder zu fesseln, rasant, ohne zu überfordern, intellektuell hochtrabend daherzukommen oder den moralischen Zeigefinger hochzuhalten. Dabei gelingt Regisseurin Marita Erxleben ganz nebenbei ein politisches Lehrstück, das nicht nur Kinder faszinieren dürfte. Lefuet ist nichts anderes als die Versinnbildlichung des Kapitalismus, der sich das Lachen anderer erkauft, um seinen Profit zu maximieren: in einer Welt, in der alles käuflich erscheint.
Marita Erxleben scheut auch nicht vor der politischen Brisanz zurück, eine deutliche Linie zum Tagesgeschehen zu ziehen: Teil des diabolischen Konzerns sind beispielsweise Waffenlieferungen an alle Parteien von Kriegen. Überhaupt wird mit ökonomischen Bildern gespielt, der Teufel ist globalisiert, seine Planung findet am Notebook statt, Anteile gibt es in Aktien. Dabei wird die Geschichte aber mit so viel Esprit und Witz erzählt, dass für moralinsaure Belehrungen kein Platz ist. Einfach nur ein wunderbares Stück, das man nicht nur Kindern ans Herz legen kann. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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