Kultur: Gezeichneter Protest
Victoria Lomasko und Enrique Flores zeigen ihre Reportagezeichnungen im Einsteinforum
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Das Symbol des Feminismus, Regenbogenfahnen und bunte Gesichtsmasken dominieren das Bild. „Start a Pussy Riot“ steht auf Russisch auf Plakaten und „Die Sache der Frau ist die Revolution, nicht der Borschtsch“. Das Spiel mit Vorurteilen, eindeutige Formulierungen sind typisch für Plakate bei solchen Demonstrationen. Mit prägnanten Linien ist die Demonstration skizziert. Ein dokumentierter Augenblick.
Eine andere Zeichnung zeigt einen Bürger, der seinen Stimmzettel in die Urne steckt. Im Hintergrund ein aggressiv blickender „Wahlbeobachter von der Partei Geeintes Russland“, wie es in der Bildunterschrift heißt. „Geeintes Russland“ ist Russlands stärkste Partei, repräsentiert durch Präsident Wladimir Putin. Das Bild ist bis auf die detaillierten Blumengestecke im Vordergrund sehr skizzenhaft und transportiert dadurch eine direkte Nachricht. Anders als durch die Partei propagiert finden hier keine freien Wahlen statt, der Wähler wird durch den Blick seines Beobachters unter Druck gesetzt.
Die zwei Reportagezeichnungen gehören zu den 30 Bildern, die derzeit im Einsteinforum ausgestellt sind. Die russische Künstlerin Victoria Lomasko zeigt auf ihnen sehr unterschiedliche Situationen. Allen aber ist der Ausdruck von Protest und Kritik am Regime gemein. Victoria Lomasko dokumentiert Demonstrationen in Moskau, in ihrem jüngsten Projekt die vergangenen zwei Jahre des Aufbegehrens der russischen Bevölkerung unter der Regierung Putins. Der Fokus der Ausstellung „Drawing Protest“ liegt auf den Gesichtern. Unterschiedliche Gefühle, meist Angst und Hass, sind durch schnelle, bewusste Striche skizziert.
Victoria Lomasko ist eine Zeitzeugin, eine Frau, die sich nicht politisch, sondern für die Menschen einsetzt. „Früher habe ich gedacht, dass ich links und kommunistisch orientiert bin. Aber ich habe in diesen Kreisen Dinge erlebt, die mich erschreckt haben. Mittlerweile bezeichne ich mich als Humanistin. Ich trete für das Recht des Menschen und für den Frieden ein“, sagt Lomasko. Die Opposition in Russland bestehe aus vielen kleinen Gruppen, die orientierungslos und unüberlegt handeln. Sie habe beispielsweise erlebt, wie selbsternannte Anarchisten bei Demonstrationen von Schwulen und Lesben Steine in die Menschenmenge schmissen. Seitdem habe sie sich von diesen politischen Richtungen abgewandt.
Die Künstlerin ist eine zarte Frau, sehr ernst und still. Mit fester, selbstbewusster Stimme berichtet sie von Auseinandersetzungen mit der russischen Polizei bei Demonstrationen, von willkürlicher Justiz in Gerichtssälen und von Situationen mit Sträflingen, denen sie Zeichenunterricht gab. Denn nicht nur auf Straßendemos sieht man Lomasko als stille Beobachterin in der Menge.
Während sie in den vergangenen zwei Jahren für ihre Reportagezeichnungen unterwegs war, kam es zu dem „Punk-Gebet“ von Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. Die Bevölkerung teilte sich in zwei Lager. „Es gab nur noch schwarz und weiß“, sagte die Künstlerin. Auch international schlug der Prozess um die regierungskritische Punkrockband Wellen. Victoria Lomasko war bei den Protestmärschen von Anfang an dabei. „Ich war überrascht, wie viele Menschen auf einmal für diese drei Frauen auf die Straße gehen.“ Sie war beeindruckt, angetan vom Mut der Frauen. Später änderte sie ihre Meinung. „Es gibt in Russland Menschen, die für ihre Ziele und Ansichten genauso einstehen, wie es Pussy Riot getan haben. Doch diesen Menschen hört niemand zu.“ Pussy Riot habe nicht zu viel Aufmerksamkeit bekommen, sondern alle anderen namenlosen Gesichter zu wenig.
Auch der Spanier Enrique Flores hat sich mit den Demonstrationen in seinem Heimatland künstlerisch auseinandergesetzt. Über 20 seiner Zeichnungen sind in der Ausstellung „Drawing Protest“ zu sehen, auf denen er Kundgebungen der vergangenen drei Jahre festgehalten hat. Schauplätze der Auseinandersetzungen sind Straßen und Plätze von Madrid und Barcelona. Von der spanischen Hauptstadt ging im Mai 2011 die einheitliche Bewegung gegen ökonomische und politische Missstände aus. Auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit wird von Enrique Flores in den Mittelpunkt einiger Zeichnungen gerückt. Im Gegensatz zu den Bildern der russischen Künstlerin sind seine Protestbilder bunter, zeigen nicht nur ängstliche oder wütende, sondern auch oft lachende Gesichter. Die Aufzeichnungen Enrique Flores sind wie Tagebucheinträge. Er zeichnet seinen Alltag. Neben Protestbewegungen sieht man auch Gruppen, die gemütlich in der Kneipe sitzen. Friedliches Beisammensein und gemeinsame Rebellion gegen die Regierung – das schließt sich bei ihm nicht aus. Protest habe viele Gesichter, erklärt Enrique Flores in seiner Videobotschaft, die während der Ausstellung zu sehen ist. Der Künstler versuche das zu zeichnen, was er sehe, und zu notieren, was er höre. Um auch dem Betrachter ein möglichst unverfälschtes Nachempfinden zu ermöglichen, sind viele Zeichnungen mit Randnotizen und Dialogen versehen.
Die Ausstellung im Einsteinforum am Neuen Markt 7 ist bis zum 11. Juli zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Elisabeth Kropp
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