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Kultur: Gib dem Schicksal Kuchen

Märchenhafte Vorstellung mit dem Theater Ozelot

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Frei gehe das Unglück durch die ganze Erde, heißt in Friedrich Schillers „Wallenstein“. In seinem Werk gibt es dieses Wort gar seltsam oft, doch wie mag es aussehen, das personifizierte Unglück, das in aller Freiheit den ganzen Erdenkreis durchwandert? Philosophen und Psychologen wissen es nicht, Dichter schon eher. Denn in den Märchen findet man es fast immer. Eines, in Sizilien gar bei seinem Namen „Sfortunata“ benannt, weiß ganz viel davon zu erzählen: Ein Krieg zwischen Spanien und seinem friedlosen Nachbarn hatte die glückliche Königsfamilie der Spanier ins Unglück gestürzt. Der Herrscher gefangen, die Königin mit ihren sieben Töchtern auf der Flucht. In tiefster Not kam eine Hexe mit Hakennase und boshaftem Lächeln zu ihr. Sie rät, die jüngste Königstochter fortzuschicken, dann würde das Unglück von den Übrigen weichen. Damit die Jüngste aber nicht fehlgehe, gab ihr die graue Alte eine Wegeskizze zur Hand, mit güldenem Faden gemalt. Man ahnt es, die hohe Dame hatte das Schicksal persönlich vor sich, das Unglück. Und so machte sich die Jüngste freiwillig auf den Weg, kehrte in drei Häusern ein. Doch alles, was sie begann, geriet ihr zu Scherben und Not, denn das Unglück war hinter ihr her. Später gab ihr die Wäscherin Francesca den Rat, das Schicksal mit süßem Kuchen zu besänftigen und dann von Kopf bis Fuß zu waschen.

Das tiefsinnige Märchen von der „Mutigen Prinzessin Glücklos“ auf ganz besondere Weise in Szene gesetzt zu haben, ist der Berliner Theatergruppe Ozelot zu danken. Am Wochenende war das Einpersonenstück gleich zweimal im T-Werk zu sehen, zweimal gut besucht. Es lohnte ja auch in jeder Beziehung, die knapp einstündige Produktion in Kooperation mit der Schaubühne war zwar äußerlich mit größter Sparsamkeit eingerichtet, innerlich dafür umso reicher. Zur Ausstattung der schwarzen Off-Bühne genügte eine bespannte Stellwand, deren Rückseite der fabelhaften Ulrike Monecke als Umkleide diente, dies „Märchen für Erwachsene“ war ja ausdrücklich als Zauberstück angekündigt. Und eben als Erzähltheater, das heißt, die Solistin hatte mehr als einem Dutzend Figuren Gestalt und Stimme zu geben, und den Rest narrativ mitzuteilen. Kein Problem für die erfahrene Schauspielerin, wenn sie einen der zwei schwarzen Röcke über den Kopf zog und die schwarze Nase aufsetzte, war sie das dämonische Schicksal, wenn sie den zweiten in den Gürtel band, verwandelte sie sich in die Wäscherin, machte sie einen langen Bart, war der König von Spanien gemeint. Toll, wie leicht und überzeugend (Regie: Gabriele Hänel) das ging. Ihr Vorrat an Grammolo-Grummeln war so unerschöpflich wie ihr gestisches Potenzial. Auch das Publikum wurde befragt und einbezogen. Sie spielte, erzählte, interpretierte jedoch nicht. Die Szenen der Hexenwäsche – eine Wohltat!

Eine große Erfindung war das Ding mit der goldenen Schnur. Hurtig wie eine Spinnerin malte die Erzählerin damit Wege und Häuser an die schwarze Stellwand, bis eine Art Mantra entstand. Eine weiße Puppen-Scheme vertrat die vom Schicksal verfolgte Wanderin. Nach der Hexenreinigung kehrte sich dann alles um. Das Unheil blieb weg, die Prinzessin fand einen Prinzen, Spaniens König wurde freigelassen, zur Hochzeit kam auch die Mutter samt Töchtervolk. Tja, man muss eben nur auf sein Schicksal zugehen können, jedes Unglück trägt ja bekanntlich das Glück mit im Schoße. Gerold Paul

Gerold Paul

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