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Kultur: Glasscherben

Lonny Neumanns neues Buch im Märkischen Verlag

Stand:

Es dauert schon eine Weile, bis man sich in die verwickelte Sippschaft des Vorkriegskindes Lore hineinliest. Sie hatte gleich zwei Väter wie keinen, wuchs bei den Großeltern nahe Prenzlau auf, und schlug gegenüber ihren drei Schwestern sowieso etwas aus der Art. Hinter Lores Namen verbirgt sich, oder verbirgt sich eigentlich nicht, Lonny Neumann, welche mit dem soeben erschienenen Buch „Grüne Glasscherben“ vieles von dem aufschrieb, was ihr bis zum achtzehnten Lebensjahr 1952 widerfuhr. Vorderhand hat man es mit einer „autobiographischen Erzählung“ zu tun. Die letzten Kapitel bemühen sich dann um Anschluss an die Gegenwart. Nun selbst Mutter und Großmutter, verspricht die Potsdamer Autorin ihrer jüngsten Enkelin Rieke eine Fortsetzung dieser „Kindheit im Norden“. Große Teile des Manuskriptes entstanden schon in den siebziger Jahren auf der Suche nach Heimat, als Fragen nach dem Woher und Wohin, und so reist die Erzählerin auf den letzten Seiten wenigstens besuchsweise nach dem uckermärkischen Strasburg zurück, wo einstmals alles begann.

Den Stossseufzer „Kriech, großer Gott!“ von Oma Johanna ist das erste, was die Fünfjährige an einem Septembertag vernimmt, Krieg mit England. Als „Kind in Schande“ lebt sie wohlbehütet und umsorgt bei den geliebten Großeltern, während ihre Mutter Erna mit Stiefvater Henrich eine neue, töchterreiche Familie gründet. Ihren Erzeuger kennt Eleonore nicht, er soll an der Ostfront verschollen sein, doch auch der zweite Vater ist nicht präsent, Kriegsgefangenschaft in „Engelland“, wo auch der Liebe Gott wohnen soll. Während nun Opa Drebelow, ein begnadeter Baumhüter und Hausmeister, sein von der Schöngeistigkeit berührtes Hätschelkind nicht gern in „de Weltgeschicht“ rumtapsen sieht, tut Johanna alles, damit etwas Besseres aus ihm wird. Sie näht schöne Kleider, sorgt, dass man mit Lore nur Hochdeutsch spricht. Tatsächlich schafft die Einzelgängerin den Schritt in die Oberstufe der Kreisstadt, wird letztlich das, was ihr schon zu Schulzeiten vor Augen stand, Lehrerin. In diesen Jahren gründete sich die „Einheitspartei“, Stalin begann auch im Frankfurt an der Oder seine „Säuberungen“. Dazwischen schildert die Schriftstellerin recht lyrische Kindheitserlebnisse, Krieg und die Strasburger Trümmerstadt, die Heimkehr des Stiefvaters mit einem Seesack voll Köstlichkeiten, dank derer er seiner alten Passion nachgehen kann, der einträglichen Gärtnerei. Es gibt Streit zwischen den Generationen, als die Eltern das Kind zurückfordern, Streit auch zwischen dem Eigensinn Lores und „dem Vater“, als er sich trotz seiner stets lachenden Augen zum „Tyrann“ seiner Familie mausert: Sie sucht ihren eigenen Weg: Vorerst retour zu Oma und Opa. Dann dreht die Erzählung auf merkwürdige Weise. Anstelle der Großeltern – „kleine, aber anständige Leute“ – wird nun Lores Verhältnis zu den alternden Eltern auffallend liebevoll beschrieben, Annäherung und plötzliches Ableben des Stiefvaters, berührende Worte über die hinfällige Mutter.

Aus Lonny Neumanns Text ergibt sich dieser Wandel nicht, man hat gelegentlich den Eindruck, als seien wichtige „Szenen“ einfach ausgeblendet worden. Trotz detaillierter und wärmender Beschreibungen fehlt ihm ein innerer Faden, die künstlerische Gestaltung tritt oftmals hinter dem autobiographischen Impetus zurück – das liest sich nicht leicht. Selbst die titelgebenden Glasscherben, mit denen das Kind spielt, auch später noch die Welt durch sie beschaut, sind als „tragendes Motiv“ nicht durchgehalten. Leider, möchte man sagen, denn solcherart Erinnerungs-Lektüre dürfte heute - noch und wieder – ihre Leser finden. Vielleicht kann man das mit vielen Familien- und Landschaftsfotos illustrierte Paperback als etwas Vorläufiges verstehen – für den großen Lebensroman der Lonny Neumann von Strasburg nach Strasburg.

Lonny Neumann, „Grüne Glasscherben. Eine Kindheit im Norden“, autobiographische Erzählung, Märkischer Verlag 2006, mit zahlreichen Fotos, 10 Euro.

Buchpremiere morgen um 16 Uhr im Alten Rathaus .

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