zum Hauptinhalt
Ein Maler mit Down Syndrom.

© A. Klaer

Kultur: Gleich und doch ganz anders

Van Icon und Marstwo zeigen auf ihren Bildern Menschen mit Behinderung / Heute beginnt ihre Ausstellung im Schirrhof-Container

Stand:

Sie erheben Menschen mit Behinderung zu ihrem Idol. Seit dem Zivildienst wissen die beiden Potsdamer FH-Studenten Steve Gödickmeier und Marcel Kläber, was es heißt, psychisch oder körperlich eingeschränkt zu leben. Indem sie sich auf eine Augenhöhe mit behinderten Menschen begaben, lernten sie von ihnen, wie man sich auch über scheinbar belanglose Dinge freuen kann. Und sei es, mit fremder Hilfe eine Sprühdose auszulösen.

Marcel Kläber sprüht sich seit seinem 13. Lebensjahr durch die Welt. Anfangs noch am hellerlichten Tag auf dem Bahnhofsgelände in seiner Heimatstadt Herzberg (Elbe-Elster). Inzwischen gestaltet er technisch versiert spannungsreiche Kunstwerke, mit denen er auch beim jüngsten KO-Kunst-Wettbewerb im Waschhaus punkten konnte. Ebenso wie Steve Gödickmeier, mit dem er nicht nur zusammen studiert, sondern auch im „Casino“ ein Atelier und die sensible Sicht auf seine Mitmenschen teilt. Kurator Erik Bruinenberg gibt den beiden Preisträgern des KO-Wettbewerbs nun neuerlich die Chance, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. In der vierteiligen Container-Ausstellung „Temporary Art Zone II“ des Trollwerk-Vereins sind sie nach der New Yorker Künstlerin Monika Weiss das zweite Team, das den Schirrhof in diesem Sommer bespielt und sich dem vorgegebenen Thema „Künstler und ihre Idole“ widmet.

Seit vier Wochen arbeiten sie Tag und Nacht an ihren „Idolen“, die sie ab heute Abend unter ihren Künstlernamen Van Icon und Marstwo vorstellen und extra für diese Ausstellung geschaffen haben. Mit viel Feingefühl und ohne jeden Voyeurismus. Oft muss man zwei Mal hinschauen, um überhaupt eine Behinderung der Figuren wahrzunehmen. „Sie sind ja auch nicht das Wichtigste, was den Menschen ausmacht“, sagt Marcel Kläber.

Um überhaupt auf den Containerinhalt neugierig zu machen, brachten die beiden jungen Männer drei silber-rote „Einhörner“ aus Kunststoff und Blechbüchsen als Eye-Catcher an die rostrote Außenwand. Aber auch der Blick in die ansonsten wenig einladende Container-„Galerie“ lohnt und führt sofort ans Ende des Schlauchs, wo eine Skulptur einen blutrot tropfenden Pinsel in Augenhöhe hält und wie eine Fahne schwenkt. Man muss schon näher herantreten, um in das Gesicht des kleinen Künstlers schauen zu können. Anregung für diese Gipsfigur, an der beide Studenten arbeiteten, ist ein „Downi“, wie die Männer liebevoll Menschen mit Down Syndrom nennen. Marcel Kläber betreut bis heute einen 26-jährigen Mann mit diesem genetischen Defekt, der sich, wie er, der Kunst verschrieben hat.

Ein offenes Mädchengesicht strahlt am Eingang von der Wand. Sie trägt eine Kette, an denen die Zahlen 3,2,1 baumeln. „Darauf reimt sich ,meins’ und soll darauf hinweisen, dass jeder ein Kind mit Trisomie 21, wie das Down Syndrom auch genannt wird, bekommen kann. Und das ist nicht schlimm“, sagt Marcel. Viel schlimmer sei es, wenn Babys durch das asoziale Verhalten ihrer Eltern behindert zur Welt kommen. „Das waren in der Einrichtung, in der ich als Zivi arbeitete, 80 Prozent“, sagt Steve Gödickmeier. Seine Betroffenheit ließ er in ein Bild fließen, das tote Föten zeigt, die wie ein Ölteppich an den Strand gespült wurden. Ein düstere, unter die Haut gehende Malerei, auf der der Himmel zu weinen scheint. Daneben ein ebenso dunkles, eindrückliches Bild: sein „Röhrendes Reh“. Es liegt verletzt mit erhobenem Haupt auf der Landstraße, seine ganze Kraft aufbringend, um weiter zu leben. Die übereinander gemalten Schichten ziehen tief hinein in das Schwarz der Nacht. „Ich bin mit einem Farbtopf im Kopf aufgewachsen“, sagt Steve aus Sachsen, der seine hüftlangen Rastas mit einem Schlips hochgebunden hat und sich zu einem „radikalen Realismus“ bekennt. Bis heute Abend muss er noch seinen Siamesischen Zwilling malen, der dann Rücken an Rücken mit dem von Marcel gesprühten Zwilling verbunden ist: Direkt gespiegelt und doch ganz anders. Denn jeder ist ein Individuum. Heidi Jäger

Ab heute 20 Uhr, Schirrhof, Schiffbauergasse. Bis 22. August, Do bis Sa, 20 - 1+ Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })