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Kultur: Glitzerstrip

Wie sich Tänzer ohne Arbeit fühlen: Paula E. Paul und Ensemble zeigen in der fabrik „Tanz.Maß.Name“

Stand:

Porree schoppen gehen und Glitzerkleider tragen. Da kann etwas nicht stimmen. Sie sind von Anfang an verdächtig, die beiden schöngemachten Frauen, die sich ans Mikrofon stellen und unschuldig summen. Man hätte schon ahnen können, das etwas nicht stimmt, wenn man auf die Zeichen geachtet hätte. Darauf, dass sie dem Publikum den Rücken zudrehen, dass sie ihren Arm verkrampft auf den Rücken biegen und Porree aus ihren Papiertüten ragt. Welche Glitzerfrau geht schon Porree kaufen. Als draußen eine Flasche umfällt, ist klar, dass an diesem Donnerstagabend Unerwartetes geschehen wird.

Aber so unerwartet ist es dann gar nicht, was die Tänzerinnen Paula E. Paul, Annette Klar und der Saxophonist und Schauspieler Roger Döring in ihrem Stück „Tanz.Maß.Name“, das sich Tanzmaßnahme liest und von Menschen ohne Arbeit und Sinn im Leben handelt, auf die neue Bühne der fabrik bringen. Das Stück ist eine Premiere, die im Auftrag des Hamburger Container-Projekts „Magic Light“ entstanden ist und im Kleinformat schon in der Hansestadt und in Berlin gezeigt wurde. Das Trio hat die fantasievoll, mitunter auf hohem Niveau getanzte Geschichte erweitert. Sie soll jetzt noch eindrucksvoller das Seelenleben von Arbeitslosen widerspiegeln, genauer gesagt, das Seelenleben arbeitsloser Tänzer. (Wenn sich das auch nicht besonders von dem anderer Arbeitsloser unterscheiden dürfte.) Schnell sind die Glitzerkleider abgeworfen, stehen die Frauen ganz ohne Glanz in Hose und Shirt da.

So wie man sich das eben im Inneren eines Arbeitslosen so vorstellt, gibt es dann viel im Nichts verpuffende Energie zu sehen, viel grimassierten Frust, schlaffe Traurigkeit, ein Durchhängen an einem von der Decke baumelnden Seil, ein Fallen, Aufstehen, Fallen, Aufstehen. Und das in ausdrucksstarken und ästhetischen Bildern, die sich mit den selten harmonisch, oft schrillen Klängen des Saxophons oder dem Hardrock aus dem Off verbinden. Die Tänzerinnen nehmen die Zuschauer mit ins Ich, und eine Zeit lang funktioniert das auch. Mit Sprache zum Beispiel. Die Kleinere, Annette Klar übernimmt die Rolle der Moderatorin. Dafür war eine Schauspielerin vorgesehen, erklärt sie, die aber wurde wegen mangelnder Auftritte umgeschult, um Ausländer in Deutsch zu unterrichten. Denn die ursprüngliche Lehrerin wurde wegen ihrer permanenten Kopfbedeckung in den Schulgarten versetzt. Die Absurditäten des Arbeitsmarktes in eine absurde Geschichte verpackt. Das hat Witz. Das können aber Literaten besser als Tänzer. Die haben doch sprechende Körper.

Und Paul mit ihrer Tanzgewalt, aber auch Klar, die zurückhaltendere Tänzerin, haben sehr deutlich sprechende Körper. Ein starkes Bild, wie die Größere auf Zehenspitzen ein klapperndes Zittersolo präsentiert, in rasendem Tempo, wie eine ferngesteuerte Maschine, bewegt sie sich auf und ab. Eindrucksvoll als Paul zu schweben scheint, nur mit Fußspitze, Unterarm und Hand in Kontakt zur Erde. Sie hat die Bodenhaftung verloren.

Nur irgendwann im Stück gibt es einen Bruch, bedrängt, überschwemmt der schrille Lärm. Die skurrilen Bewegungen wirken plötzlich aufgesetzt, sinnlos. Es dröhnt, es ist still, es raschelt. Verzweiflung. Von sich selbst verfolgte Tänzer. Schöne Bilder, ja, aber irgendwann ist es genug. Man kann und will ihnen nicht mehr folgen.

Am Schluss steht der Saxophonist mit dem Rücken an der Wand, raucht. Die beiden Frauen lehnen aneinander, liegen wie zusammengefügt. Alleine zu kraftlos, ohne Halt. Drumherum das Chaos, Kleider, Papiertüten, Schuhe. Die Requisiten einer verlorenen Schlacht. Denn auch das erzählt das Stück: Es gibt keinen Ausweg, keine Hoffnung. Da ist eine Stimme von oben gewesen, die Stimme des Rammstein-Sängers. „Ich will dich“, schreit sie verzerrt, „Wir wollen, dass ihr uns vertraut“. Aber wer ist eigentlich dieses „Wir“? Diese Kraft von außen, die an den Tänzerinnen so erbarmungslos zerrt. Das Trio hält einer Gesellschaft den Spiegel vor, zeigt ihr, wie sich 11,5 Prozent der Zuschauer fühlen könnten. Getanzte Hilflosigkeit. Nichts darüber hinaus.

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