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Kultur: Globalisierungswahn und „Heimat-Fundamentalismus“

Der Kulturmanager Bernd Kauffmann sprach im Industrieclub Potsdam über die „Kultur der Zeit“

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Der Kulturmanager Bernd Kauffmann sprach im Industrieclub Potsdam über die „Kultur der Zeit“ Potsdam möchte im Jahre 2010 die Kulturhauptstadt Europas werden, eines Kontinents, welcher dann, in neuerer Konkurrenz, von Lissabon bis Riga reicht. Nur wie? Derzeit, so scheint es, begnügt man sich mit plattestem Vorzeige-Tourismus für das gut abrechenbare Tagesgeschäft, als würden Sanssouci, der Neue Garten und die Babelsberger Villen einer Marika Rökk und anderer Ufa-Stars das ganze Erbe dieser Residenzstadt sein, vorzeigbar gepflegt und konserviert für alle Ewigkeit. Das reicht nicht, befand am Donnerstag der Kulturmanager Bernd Kauffmann, als er im Potsdamer „Industrieclub“ über die Kultur im Allgemeinen und Potsdam als virulente Kulturhauptstadt der mittleren Zukunft referierte. Er muss es wissen, denn von 1996 bis Anfang 2000 war der gebürtige Ahausener (NRW) Generalbevollmächtigter der „Weimar 1999 - Kulturhauptstadt Europas GmbH“. Zugleich kann der Träger des Bundesverdienstkreuzes beste Referenzen beim General-Management der Expo Hannover (2000) und vergleichbare Führungs-Qualitäten in der „Stiftung Schloss Neuhardenberg“ vorweisen. Ein Fachmann also. Sein Publikum bestand aus interessierten Vertretern Brandenburgischer Wirtschaftskreise, welche gewillt sind, die kühne Idee „Potsdam 2010“ freundlich zu unterstützen. Zur Situation in Brandenburg nebst seiner Hauptstadt wollte er sich nicht äußern, dafür lieferte er eine so wortgewaltige wie scharfsinnige Analyse der Zeit, als erklärter Gegner der Globalisierung. Für ihn stehen alle Zeichen auf „Degression“: Er beklagte angesichts einer „totalen Verfügbarkeit mobiler Kommunikation“ den völligen Verlust von Orientierung und Signaturen, überhaupt von Verbindlichkeiten, auch in der Sprache: Entfremdung, Geschichts- und Identitätsverlust seien die Folgen. „Die virtuelle Globalisierung schüttelt alles durch“ - aber das führt nur zu einer Ansammlung von Möglichkeiten, darin man die „Kultur der Zeit“ nicht mehr orten könne. Die sozialen Bindungen werden zerstört, die Gesellschaft verflache in allen Bereichen, besonders in den Medien, wenn man nur an Madonna, die Salome der Pop-Kultur, denke. Auch der Politik („Hamster im Laufrad der Demokratie“) warf Kauffmann „Stillstandsviruosität und Geldgier“ vor – gänzlich ramponierte Gehirne, „mentale Diffusion“. Die Wüste habe ihre Propheten eingeholt. In einer solchen Situation, darin der Konsens einer stabilen Kultur- und Wissenschafts-Struktur zerbrochen ist und wo nur gilt, was sich auch rechnen lasse, hört er den „letzten Choral einer bewusst zerbrochenen Bürgergesellschaft“. Er stellte seinen ostentativen Pessimismus zwischen Globalisierungswahn und heraufziehendem „Heimat-Fundamentalismus“, also einen „dritten Weg“ suchend, wofür Potsdam 2010 ein visionäres Fanal setzen könnte. Nur Kultur und die Kunst der Phantasie könnten der globalen Anonymisierung entgegenwirken, insofern lässt sich aus dem tiefsten Weltschmerz wohl auch die meiste Hoffnung schöpfen. Dazu listete er in seinem mitreißenden Vortrag die Bedingungen auf: Grundsätzlich nötig sei also „ein tragfähiges Modell gegen den schleichenden Verfall der Phantasie“. Eine kunstvolle Vision der Urbanität sei zu entwerfen, „die Potsdam nicht hat“ und die auch den höchsten Ansprüchen eines europäischen Publikums bei längerer Verweildauer genügen müsste. Ein „Masterplan“, welcher über das jetzige Potsdam weit hinausgehe. Dazu brauchte es nicht nur eines Denkens im kontinentalen Format, sondern auch etwas „Hinzugefügtem“, worunter man sich „ein bauliches Zeichen“ vorstellen kann. „Ausschließliche Traditionspflege wäre nur Schlamperei!“. Man müsse in neuen Ausdrucksformen denken, Gestaltungszwischenfälle organisieren. Ziel sei „der Selbstdenkende und Selbsthandelnde, der kritisch an den Nägeln kaut“. Das könne nur einer von außen“ bereiten, der nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen habe, der junge Leute bis 30 um sich schare, auch mit geringem Etat: Im Gegensatz zu Graz (250 Mill. Euro) standen Weimar über vier Jahre nur 75 Mill DM zur Verfügung, für Werbung weniger als 1 Million (man inszenierte für die Presse inhaltliche Streits, das sparte). Gab es dann auch ein Defizit von 12 Mill., so glaubt noch heute jeder Taxifahrer, der Kauffmann habe etwas für die Stadt getan. Phantasie ist also die eigentliche Investition. Energie erzeugen, den Wert der Kultur in dürftigen Zeiten ein Denkmal setzen - und damit den „Fortschritt“ auf Gewinn und Verlust befragen, sagte Bernd Kauffmann. Gerold Paul

Gerold Paul

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