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Kultur: Glutvolle Lektüre am Kamin

Sándor Márais Kammerspiel entfaltete sich in Paretzer Rosenvilla

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Sándor Márais Kammerspiel entfaltete sich in Paretzer Rosenvilla Die trockenen Holzscheite im Kamin knistern in der Feuerglut. Sie verbreiten in stimmungsvoll-flackernder Partnerschaft mit den aufgesteckten Kerzen und dem herein scheinenden Mond eine anheimelnde Atmosphäre. Die Kulisse für die Lesung ist trefflich gewählt. Der Vorleser Klaus Büstrin trägt das seelenvolle Kammerspiel Sándor Márais „Die Glut“ in der Paretzer Rosenvilla vor. Anders als in dem 1942 geschriebenen monologisierenden Psychogramm ist die Paretzer Villa keineswegs verwaist. Dicht gedrängt sitzen die Besucher bei Kaffee, Wein und leckeren Köstlichkeiten um das offene Feuer. Sie lassen sich gern von der Geschichte um den General, der von seiner Frau und dem Freund verlassen wurde, gefangen nehmen. Der mit viel Wärme, innerer Spannung und Nuancierung vorgetragene Text breitet sich wie ein weicher Flies über die Zuhörer aus. Die schwebenden Engel und Girlanden an den Wänden setzen sich angenehm von den im Buch beschriebenen Ambiente ab. In Paretz herrscht eine liebeswerte Leichtigkeit mit weich fallenden transparenten Stoffen und Boten der herbstlichen Natur. Der General ist hingegen außer von seiner hochbetagten Amme Nini nur von den Ahnen in prunkvoll-schweren Goldrahmen umgeben. In dieser Düsternis wartete er 41 Jahre und 43 Tage, bis endlich der über Nacht verschwundene Freund zum letzten „klärenden“ Gespräch erscheint. Klaus Büstrin dringt im anregenden Plauderton, mal den Worten verhalten nachlauschend, dann wieder pronociert-zupackend in die messerscharfen Beobachtungen und in die wohl bemessene, subtile Sprache Marais ein. Ohne falsches Pathos entblättern sich Fragen um Freundschaft, Ehre, Einsamkeit und das Geheimnis als Spannkraft des Lebens. Die von Susann Sprenger am Klavier vorgetragenen kurzen Stücke von Chopin, Schubert und Brahms greifen die nachdenklich-melancholische Stimmung auf und tragen sie wie eine Fantasie fort. Die Lesestunde gerinnt zu einer subtilen, höchst anregenden Reflexion über existentielle Fragen des Lebens. Mit feinem Strich schuf Klaus Büstrin eine Version, bei dem der Text unbeschadet, ja sogar zugespitzt, seine Dramatik entfalten kann. Nicht nur die nahe am Vorleser zusammengerückte Zuhörerschar, auch die Gastgeberin Sabine Kauker bedankten sich herzlichst für diesen kurzweiligen, gedankentiefen Ausflug in Sándor Márais glutvolle Poesie. Doch die Lesung ist „nur“ ein prickelnder Aperitif, nach der Konzentration übernimmt jetzt die Ausgelassenheit das Zepter. Es wird fürstlich gegessen und getrunken und schließlich – animiert durch die Dame des Hauses - auch das Tanzbein geschwungen. Der Freundeskreis der Rosenvilla lässt sich nicht lange bitten, er fühlt sich hier zu Hause, reiht auch fremde Gesichter liebenswürdig mit ein und traktiert mit ebensolcher Freude das Klavier. Selbst ein Eremit wie der General wäre sicher hier in der Rosenvilla aufgetaut. Heidi Jäger Am 8. November lädt die Rosenvilla in Paretz, Paretzhofer Str. 45, zu einem Großen Ball mit dem Berliner Courorchester und Musik der 20-er Jahre. Vorbestellungen unter Tel. 033233-82728.

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