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Kultur: Gnadenlose Willkür

33 Künstler zeigen in „piccoli“ 99 Werke im KunstHaus Potsdam

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Sobald der Herbst die Sonne ausknipst, gehen in Galerien die Lichter an, genau wie in den Kaufhäusern. Statt einzelne Künstler in der Tiefe ihres Werks vorzustellen, werden pünktlich zur Auszahlung des Weihnachtsgeldes plötzlich überall breite Übersichtsausstellungen gezeigt. In Potsdam hat im Dezember beinahe jede Galerie vorgeführt, dass nur noch hoffnungslose Idealisten glauben, die bildende Kunst agiere in einem erhabenen, nichtkommerziellen Raum. Noch wirbt man nicht mit „geilen Preisen“, wohl aber immer öfter mit „kleinen Formaten“. Seit Mitte Dezember tut das auch das Kunsthaus mit „piccoli“, was nichts anderes bedeutet als: eher klein, und preislich fast schon „geil“.

Der Verein Kunsthaus e. V. hat sich der zeitgenössischen, eher abstrakten Kunst verschrieben. Von den 70 Vereinsmitgliedern sind mehr als die Hälfte selber Künstler. Sie und einige Gäste gehören zur willkürlich und wahnsinnig anmutenden Zahl der dreiunddreißig, die je drei erschwingliche Werke in dem umgebauten Pferdelazarett ausstellen. Der Verein kann noch so oft seine Offenheit betonen, ihm haftet wegen seiner soliden programmatischen Ausrichtung gen Westen eine gewisse Einseitigkeit an. Nennen wir es lieber wohltuenden Anspruch, denn wer die letzten Stunden vorm Fest nutzen will und in der gekalkten Halle steht, den befällt zunächst ein Schwindel wie auf einem türkischen Bazar. Soviel Kunst, so viele Talente auf engstem Raum! Übereinandergehängt, in Vitrinen, im Raum, unterm Dach. Optische Überreizung und eine für das Wohlbefinden noch abträgliche Konkurrenz der künstlerischen Konzepte, die Welt zu sehen. Am Ende des Rundgangs sieht mancher deswegen vielleicht sogar den Weihnachtsbaum zuhause als geometrische Dekonstruktion in buntem Papier gefaltet nach dem Vorbild von Rudolf Valentas „Space Konkrét“ (je 1800 Euro).

Gnadenlose Willkür muss also her, knallharte Subjektivität in der Auswahl unter den sehr bekannten und weniger klangvollen Namen. Armando, Martin Engelman, die Meisterschülerin Rebecca Horns, Rebecca Raue, oder Angelika Margull sind vertreten, sollen hier aber nur zwecks „name-droppings“ genannt werden. Die Konzentration fällt auch wegen der gerade anlaufenden spirituellen Festvorbereitung auf einen Gegenstand, der auf einer weißen Säule ruht. Er sieht aus wie eine viereckige Dornenkrone, aus zwei Zweigen gewoben. Dieses metallene Objekt ist ein „Ouroborus“ des Holländers Sjoerd Buisman. Die Gleichzeitigkeit der künstlichen Ebenmäßigkeit mit dem Variationsvermögen der Natur innerhalb eines Körpers ist faszinierend.

Reine Farbe, ein sattes, die anderen Bilder im Raum überstrahlendes Orange wird von Anita Stör-Weber mit einer schwebenden Leichtigkeit versehen, indem sie ein hauchdünnes, farbgetränktes Tuch über eine Leiste legt. Dort, wo der Stoff übereinanderliegt wie ein Handtuch leuchtet es noch kräftiger. Nur die Textmarker-gelben Horizontgemälde von Sybille Wagner verbreiten eine ähnliche räumliche Präsenz. Die Signalfarbe scheint aus dem Bild zu leuchten.

Erika Schewski-Rühling zitiert nur ein Muster, das jedoch ähnlich im Bewusstsein brennt wie grelle Farbe. Ihre „Passagen“ sind nur kleine Rahmenkästen, in denen sich unbeholfen zurechtgeschnittene Figurengruppen befinden. Allein durch das Zitat der blauweißen KZ-Lagerkleidung entfacht die Künstlerin alle schrecklichen Bilder, die jeder in seinem Bewusstsein abgespeichert und bei einem so geschickt ausgesendeten Reiz unweigerlich dort abruft.

Großartig und mit 450 Euro ein Weihnachtsschnäppchen wert sind die aquarellierten Interieurs von Roswitha Grützke. Alltagsblicke in einer Standardtechnik, die ihre verblüffende Brillanz erst entfaltet, wenn man einige Schritte zurückgetreten ist. Es lohnt sich hier, wie bei allen vertretenen Künstler, einen Blick in die ausliegenden Kataloge zu werfen. Gewöhnlich nämlich entstehen die Bilder bei Grützke am Webstuhl, inklusive Schattenwürfe und filigranen Lichtreflexen. Matthias Hassenpflug

KunstHaus Potsdam, Ulanenweg 9, heute 15-18 Uhr, am 23.12. geschlossen.

Matthias Hassenpflug

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