zum Hauptinhalt

Kultur: Goldene Telefone für einen „abgerissenen Haufen“

Mitglieder des Offenen Kunstvereins reisten nach China. An ein freies Miteinander war nicht zu denken

Stand:

Sie fühlten sich wie Dorfbewohner, die das erste Mal eine Stadt besuchen. Größer, höher, breiter, schneller und vor allem lauter präsentierte sich den 12 Mitgliedern des Offenen Kunstvereins aus Potsdam das Reich der Mitte, als sie mit zehn chinesischen Worten und Schokoladenosterhasen im Gepäck Mitte April in der 14 Millionen Stadt Beijing landeten, die sie sofort verschluckte. Die Universität von Wuhan finanzierte den zehn jungen Leuten zwischen 18 und 25 Jahren sowie der Kunstpädagogin Heike Schöneburg und der Leiterin des Offenen Kunstvereins, Sabine Raetsch, einen fünftägigen Kulturmarathon durch die Hauptstadt, bevor es dann zum Künstlertreff nach Wuhan weitergehen sollte.

Eine Kaffeepause zum Luftholen war nicht eingeplant beim Durchstreifen des Weltkulturerbes der Hauptstadt. Vorbei an kilometerlangen Menschenschlangen, die dem mumifizierten großen Mao die Ehre erweisen, quer über den Platz des „himmlischen Friedens“, umspült von einem Menschenmeer, rein in den Kaiserpalast „Die verbotene Stadt“. „Es ist nicht einfach, etwas zu sehen, geschweige zu genießen und sich nicht zu verlieren, denn als Fremder in Bejing verloren zu gehen, ist kein Spaß!“, notierte Sabine Raetsch in ihrem Reisetagebuch. Doch das Wichtigste, was sie in China erlebten, sei das Essen gewesen. Die Potsdamer staunen nicht schlecht, was die zierlichen Chinesen am Tag so verputzen. Auch sie hielten Disziplin und aßen brav dreimal am Tag pünktlich eine warme Mahlzeit, wozu auch Wasser und Saft heiß serviert wurde. Statt Brot und Käse gab es Stinkfrüchte, Lotoswurzeln und Erbsenstieleis.

Von dem sehr trockenen, fast baumfreien smokverhangenen Bejing ging die Reise per Nachtzug 1200 Kilometer weiter in die Provinz Hubai in Zentralchina: zu dem blühenden subtropischen Wuhan am Yangtse. Schon am Eingang der Universität mit 15 4000 Studenten wurden die Freizeitkünstler aus Potsdam mit straßenbreiten Bannern begrüßt, die über den Köpfen der Wachposten wehten. „Im voraus wünschen China-Deutschland ,Drache des fremden landes’ Jugendkunst-Austauschprojekt erfolgen“, war in Deutsch zu lesen. Denn es sollte in den folgenden Tagen ja schließlich um ein künstlerisches und menschliches Miteinander gehen. So die Hoffnung. Doch schon der Empfangsabend diente nicht unbedingt dazu, sich näher zu kommen. Die Potsdamer saßen neben gewichtigen Leuten und schauten Tanzgruppen zu, flankiert von einer Unmenge von Essen, die sie mit Stäbchen in ihre Münder balancierten. „Es wurden Reden gehalten, die mir sehr bekannt vorkamen. Ich versuchte, mich etwas verbindlicher auszudrücken“, so Sabine Raetsch.

Die deutschen Gäste verstanden die Welt nicht mehr, als sie schließlich in ihre Unterkünfte abtauchten: protzige Suiten mit Jadetisch und goldenem Telefon. „Wir kamen uns ziemlich deplatziert vor. Alles war so nobel und adrett, auch all die Studenten mit ihren hellbunten Sonnenschirmchen, die über den Campus schwebten. Wir waren eher ein abgerissener Haufen: nun im Nobelhotel mit Wachposten und Kameras vor der Tür!“

Endlich lernen sie dann aber doch ein paar junge Leute kennen, die im Sommer nach Potsdam kommen werden. Tuchfühlung nahmen sie beim Eier auspusten und bemalen auf. Doch um 22 Uhr mussten die Chinesen brav in ihre Stuben: Frauen und Männer getrennt.

Die nächste Ernüchterung folgte auf dem Fuße, als den Potsdamern mit einer klaren Ansage ihre Pläne durchkreuzt wurden: Statt durch Gestalten von Sagen und Geschichten Einblick in die jeweils andere Kultur zu bekommen, wurde ihnen mitgeteilt, dass die Universität zwei große traditionelle chinesische Drachen wünsche. „Mein Einwand zu der Einseitigkeit dieser Unternehmung wurde ignoriert,“ erinnert sich Sabine Raetsch. Doch was half’s: Die Kunstvereins-Leute legten sich dennoch ins Zeug. Und dann brach geradezu die dritte Kulturrevolution aus. Denn die Potsdamer durften bei einem Nachtmahl mit Bier und Wuhan-Schnaps tatsächlich bis Mitternacht zusammen mit den Chinesen an ihren Drachen arbeiten. Denn die Zeit war knapp bis zur großen Präsentation. „Wenigstens die Farbe des Drachens durften wir selbst bestimmen. Wir arbeiteten und arbeiteten, acht Stunden am Tag wurde der Pinsel nicht aus der Hand gelegt, das Essen wurde geliefert, denn abends mussten die Drachen gezeigt werden.“ In nicht mal drei Tagen hatten sie es geschafft: zwei zehn Meter große, grüne Drachen waren gebaut, beklebt, bemalt. „Sie sahen großartig aus und leuchteten auch noch.“

Nun freuen sich die Potsdamer auf die Zeit mit den Chinesen im freien Deutschland: dann statt mit goldener Telefone mit großen Farbtöpfen, aus denen jeder nach seiner Fasson schöpfen und ungeniert malen kann, was das Herz bewegtt. Und sie vielleicht wirklich einander näher bringt. Heidi Jäger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })