
© Andreas Klaer
Kultur: Golfen oder Geigen
Laura Rajanen zog von Finnland aus durch die Welt, um in Potsdam ihr Orchester zu finden
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Irgendwann im Leben von Laura Rajanen musste die Entscheidung fallen – Geigenkasten oder Golfgepäck. Mit jedem von beidem hätte sie durch die Welt ziehen können. So gut war sie als Jugendliche. Doch beides zusammen ging nicht. Dass eine begabte Geigenschülerin überhaupt in ihrer Freizeit regelmäßig mit einem Schläger hantiert – Laura spielte auch noch Tennis –, ist eigentlich ein Unding. Bei Laura aber ging so vieles parallel und nebenbei, dass es niemanden störte und die Finnin dabei erst richtig aufblühte. Als 14-Jährige golfte sie in der Jugendnationalmannschaft des Landes. „Das war eine sehr schwierige Entscheidung“, sagt sie, „ich war schon sehr gut.“
Laura Rajanen sitzt in sommerlich geblümter Bluse im Café „Ricciotta“ neben dem Nikolaisaal. Seit einem Jahr ist die heute 39-Jährige Mitglied der Kammerakademie Potsdam und ihre Karriere als Violinistin scheint fast beiläufig, mühelos passiert zu sein. „Ich war sehr verrückt“, sagt sie und lacht, als sie an ihre Jugend denkt. Alles war nur ein Hobby – Golf, Tennis, Kunstschule, später die Querflöte. Und die Geige eben auch. „Ich war ein bisschen faul, aber es hat mir Spaß gemacht, also hab ich weiter gemacht.“
Mit 14 begann sie am Konservatorium Musik zu studieren. Das ist genau das Alter, wo der Weg für eine Profimusikerkarriere, zumindest in der klassischen Musik, eingeschlagen wird, wenn auch wie bei Laura noch unbewusst. Erst später entschied sie sich für den Bogen statt für den Schläger. Weil ihr etwas gefehlt hätte, wäre die Musik nur ein Hobby, sagt sie. „Man kann mit Worten nicht so viel beschreiben wie mit Musik.“
Letztlich war die Zeit am Konservatorium ausschlaggebend für ihre Karriere. „Zwischen 13 und 18 Jahren – da werden die Messen gelesen“, sagt Peter Rainer, Konzertmeister der Kammerakademie und Dozent an der Begabtenklasse der Universität der Künste. „Wenn da nicht richtig trainiert wird, dann wird das nix mehr.“ Für Rainer ist das auch ein Grund, warum immer weniger deutsche Jugendliche heute in den Musikhochschulen studieren. „Es ist in Deutschland schwierig, durch die Schulzeit zu kommen und dabei noch ein Instrument so zu lernen, dass man die Aufnahmeprüfung besteht.“ Laura spielte tagtäglich, während andere ihres Alters sich auf das Abitur vorbereiteten. Das machte sie auch wieder nebenbei, selbstorganisiert, abends.
Nach der Ausbildung am Konservatorium ging sie nach Straßburg, um dort Kammer- und Orchestermusik zu studieren. Die Tourneen, darunter in Ungarn und Deutschland, liefen bereits längst parallel. Ihr Studium in Frankreich und später auch das in Berlin an der Hochschule für Musik „Hans Eisler“ zielte hingegen vor allem auf eins ab: eine Solokarriere. Für Laura Rajanen kam das aber nicht in Frage und die Ausrichtung hält sie auch für falsch: „Wer hat schon das Glück, Solist zu werden?“, fragt sie. „Einer von Hunderttausend, der, der am richtigen Ort zur richtigen Zeit die richtigen Menschen trifft.“ Lauras Schwerpunkt ist woanders – bei dem gemeinsamen Musizieren. Darauf würde in Finnland viel mehr Wert gelegt, sagt sie. Ihre schönsten Erinnerungen sind denn auch die heimischen Musikfestivals, wo sie sommers schon als Kind mitspielte. „Ohne das hätte ich bestimmt aufgehört“, sagt sie rückblickend.
Zu Studienzeiten spielte sie in Orchestern, gründete später eigene Ensembles. Sie war Stimmführerin im European Union Orchestra. Mit ihm war sie immer auf Tournee, zwei bis drei Wochen im Monat, bereiste alle Kontinente, sechs Jahre lang. Bis das viele Reisen ihr die Freiheit raubte, die sie so dringend braucht. Denn was für viele Orchestermusiker der Karrieretraum schlechthin ist – eine Anstellung in einem Staatsorchester oder etwa bei den Berliner Philharmonikern – lehnt sie für sich ab. Zwar spielte sie zwischenzeitlich auch in der Komischen Oper, aber „fest in einer Institution zu spielen, passt mir gar nicht“, sagt sie. „Für mich ist das wichtigste Wort: Freiheit.“
Mit der Kammerakademie Potsdam hat die Finnin nun ihren idealen Spielort gefunden. Nicht nur weil sie die warmherzige familiäre Atmosphäre schätzt. Sondern weil hier wie auch bei einigen wenigen hochkarätigen Ensembles in Deutschland – etwa dem Freiburger Barockorchester – die Musiker gleichzeitig als Gesellschafter fungieren. Hier darf sie mitentscheiden, was auf dem Konzertprogramm steht. „Dieses ,darf’ macht, dass ich alles spiele. Es gibt wenige Stücke, die ich nicht mag.“ Auch die finanzielle Verantwortung tragen die Musiker bei der Kammerakademie mit, wenngleich es einen Geschäftsführer gibt. Und Managerin ist sie als Orchestermusikerin ohnehin: Auf ihrem Smartphone laufen die Terminkalender, ihr persönlicher und der der Kammerakademie, parallel und sind prall gefüllt.
Alles das scheint für Laura Rajanen ein leichtes Spiel. Nur einmal hat es sie wirklich Kraft gekostet. Als sie unbedingt in die Kammerakademie Potsdam aufgenommen werden wollte. Sie spielte hier bereits einige Jahre aushilfsweise. Um ein Probespiel kam sie trotzdem nicht herum. „Das war der schlimmste Moment in meinem Leben“, sagt sie. Nie habe sie so viel Angst gehabt. Dabei trat sie auch schon im kleinen Streicherensemble vor 3000 Zuhörern in Japan auf.
Die Kammerakademie hatte die Stelle der zweiten Geigerin ausgeschrieben, rund 200 Bewerbungen liefen ein. Schließlich ist der Orchestermarkt, gerade in und um Berlin, hart umkämpft. „Man muss schon ein bisschen Arnold Schwarzenegger sein, um ein Probespiel zu bestehen“, sagt Konzertmeister Peter Rainer. Laura Rajanen hat zwar wenig gemein mit dem Actionschauspieler, bestand aber trotzdem. Und auch im Falle eines Scheiterns hätte sie Pläne gehabt: „Wäre ich nicht hierhergekommen, hätte ich eine Geschäftsidee verwirklicht.“ Irgendwas mit Musikmanagement. Auch da kann sie schließlich vieles gleichzeitig händeln.
nbsp;Grit Weirauch
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