Kultur: „Gott, ist die Jejend “runtergekommen!“ „Otto Sander liest Fontane, live“ - auf CD
„Ehrlich ist der Märker, aber schrecklich. Und daß gerade ich ihn habe verherrlichen müssen“ wunderte sich Theodor Fontane 1895 in einem Brief an seine Tochter.
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„Ehrlich ist der Märker, aber schrecklich. Und daß gerade ich ihn habe verherrlichen müssen“ wunderte sich Theodor Fontane 1895 in einem Brief an seine Tochter. Wer denn sonst? Beschrieb er ihn in seinen „Wanderungen“ nicht als tugendsam, so viel er sich einbildet, gesunden, nüchternen Geistes, charaktervoll, doch „ohne rechte Begeisterungsfähigkeit“, stets in der Annahme, dass Gott in ihm etwas ganz Besonderes geschaffen habe? Diese und andere Aussagen des reisenden Dichters kann man jetzt auf einer hübschen CD noch einmal hören, sogar aus berufenem Munde, denn wie der Neuruppiner als die Autorität in Sachen märkisches Land, Adel und Gutsbesitzer, Schlösser und Katen gilt, so der 1941 geborene Schauspieler Otto Sander als Primus inter pares unter den begnadeten Vorlesern dieser Tage. Die Scheibe mit dem schlichten Titel „Otto Sander liest Fontane, live“ ist der auf genau eine Stunde gekürzte Mitschnitt einer Lesung, die anlässlich der Buchpremiere „Berlin und die Mark Brandenburg. Ein Fontane-Brevier“ vor knapp einem Jahr im Nikolaisaal stattfand; Herausgeber ist das Brandenburgische Literaturbüro. Mochte „Sander live“ sich zu Beginn auch nicht immer Rhythmus und Ton der Fontane“schen Quelle in Gänze erschließen, so war, was er las, vergnüglich und bildsam zugleich. Der Schriftsteller Karl Emil Franzos hat ja recht, als er schrieb: „Er war der einzige Dichter der Gegenwart, den die Alten liebten, die Mittleren schätzten, die Jungen ehrten“. Wie sollte man auch nicht! Es reizt doch gewaltig den Schalk, wenn man mit schnurriger Stimme Fontanes Brevier über das märkische Trebbin zum besten geben konnte, wo die Kirche sei wie die Stadt, die Stadt wie die Kirche, nämlich voller Tristesse, und unter den Einwohnern kein Fünklein Eingedenkens an die einstige Burgherrlichkeit dieses Ortes glomm; nicht einmal auf dem städtischen Friedhof. Ein unheimlicher Gedanke, wenn ein ganzes Anwesen Gegenwart ohne Vergangenheit lebt. Fontane schreibt zwar „über das Wesen der Potsdamme“, wo er die „unheimliche Verquickung“ von Absolutismus mit Spiessbürgertum, Unfreiheit und „künstlich Hochgeschraubtem“ diagnostizierte, die Potsdamer Residenz selbst ließ er bei all seinen Reisebeschreibungen aus. Dafür hört man viel Nachdenkliches über das seltsam beständige Wesen des Werderaner „Stammes“, eines Inselvölkchens, an dem zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges Kaiserliche wie Schweden, sogar die Pest vorüberzugehen schienen. Am Ufer des „Wannensees“ sinniert er Zukunft, sieht die Bebauung der kärglichen Ufer mit opulenten Villen, wie es kurz darauf tatsächlich geschah. Die Geschichte der noch Ende des 18. Jahrhunderts wüsten Pfaueninsel schildert er voller Liebe als ein Paradies, in welchem sich neben dem heute bekannten Getier auch Kängurus und Chamäleons tummelten. „Würd“ es mir fehlen, würd“ ich“s vermissen“... Im zweiten Teil hörte man Fontane“s erstaunlich moderne und hochvorzüglich vorgetragene Balladen, jene des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck (live: „Ach Gott, noch so ein Klassiker!“) und das eindrückliche „Trauerspiel von Afghanistan“. In trefflichen Versen schildert er dann die auffallend kurze Wiederkehr alter deutscher Stämme ins Brandenburg seiner Tage. Mehr als tausendjährige „Veränderungen in der Mark“ ließen den Geistern der Alten jenes geflügelte Wort entfahren, welche eigentlich den ganzen Fontane ausdrückt: „Gott, ist die Jejend ´runtergekommen!“. Gerold Paul „Otto Sander liest Fontane. live. Brandenburgisches Literaturbüro und vacat Verlag, 2004, Laufzeit 60 Minuten, 9 €
Gerold Paul
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