
© Jürgen Bauer
Kultur: Götter und Halunken
Christoph Hein stellt seinen neuen Erzählband „Vor der Zeit. Korrekturen“ in der Villa Quandt vor
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Vielleicht werden sie eines Tages tatsächlich gefunden, die angeblich einst von Homer versteckten Schriftrollen mit der ursprünglichen Fassung der „Ilias“. Auf einer Feier, die Odysseus anlässlich des Sieges über Troja für seine alten Waffengefährten in seinem Königreich Ithaka veranstaltete, hatte Homer mit seinen Liedern den Unmut des Gastgebers erregt. Nicht der großen Reichtümer, sondern allein der Ehre wegen sei man nach Troja gezogen, beschwerte sich Odysseus beim blinden Sänger und befahl diesem, es gefälligst auch so zu berichten. Homer musste gehorchen, und als er beim nächsten Mal 24 neue Gesänge vortrug, zeigte sich Odysseus schließlich zufrieden.
Es ist dies eine der vielen Kurzgeschichten in Christoph Heins neuem Erzählband „Vor der Zeit. Korrekturen“ (Suhrkamp Verlag Berlin, 19,95 Euro), die beinahe allesamt in der antiken Welt spielen und in denen doch die Bezüge zur Gegenwart unübersehbar sind.
Natürlich folgt Christoph Hein in seinem neuen Buch, das er am morgigen Donnerstag in der Villa Quandt vorstellen wird, auch einer literarischen Tradition. Seit Jahrhunderten greifen Autoren immer wieder auf die antiken Mythen und die Grundmuster des Erzählens zurück, um mithilfe dieser schönen uralten Texte die Stoffe ihrer eigenen Zeit zu transportieren. Auch Christoph Hein hat die berühmten Geschichten über die Götter und Helden der Antike, wie etwa Zeus, Prometheus, Herakles oder Odysseus, nicht nur liebevoll und äußerst unterhaltsam nacherzählt, sondern stets auch seinen eigenen Erfahrungshorizont mit einfließen lassen. So ist „Vor der Zeit“ eine reizvolle Aktualisierung und tatsächlich auch eine „Korrektur“ im Sinne einer Ergänzung all jener Dinge, etwa aus der Geschäftswelt oder der Staatsführung, die die alten Meister zu ihrer Zeit noch nicht ahnen konnten. Geschickt hat Hein kleine Veränderungen in den überlieferten Sagenstoff gestreut, hie und da Details hinzugefügt und ohne den jeweiligen Mythos selbst zu beschädigen, ihn häufig ein Stückchen weitergeführt. Plötzlich ist beispielsweise die Nymphe Echo nicht mehr nur mit dem Fluch belegt, stets die letzten an sie gerichteten Worte nachplappern zu müssen, sondern für dieses Verhalten besonders bei den Mächtigen der Welt sogar sehr beliebt. Bei Hein erfährt man nicht nur, dass Odysseus während seiner Irrfahrt im Land der Phaiaken strandet und für seine Geschichten von König Alkinoos mit Geschenken überhäuft wird, sondern zudem auch, dass die Kosten dafür auf alle Bürger des Landes abgewälzt werden, um sie wieder hereinzuholen. Und wenn man liest, dass Prometheus den Menschen nicht nur das Feuer gebracht, sondern ihnen auch noch die „sie blendende und täuschende“ Hoffnung geschenkt hat und dafür ein zweites Mal von Zeus an das kaukasische Gebirge gekettet wird, zeigt sich nicht nur an dieser Stelle ein köstlicher, wenngleich oft rabenschwarzer Sinn für Humor bei dem 69-Jährigen.
Es ist überhaupt eine recht dunkle Komik, die den insgesamt 25 neuen Mythenversionen in Heins Erzählband häufig innewohnt. Sei es in der kurzen Episode „Die Eisernen“, einem Abgesang auf eine „Im Meer des Wissens“ hilflos umherirrende Zivilisation und ihres baldigen Untergangs, sei es in der zweiteiligen Geschichte über den berühmten Arzt Asklepios, der Todkranke heilt und somit Hades erzürnt und seine Künste erst im Totenreich auf dem „Stuhl des Vergessens“ einbüßt. Oder sei es die Erzählung von der „schönen Helena“, die am Altern leidet und sich deshalb den Rest ihres Lebens einschließt, um ihren Nimbus zu retten und als schönste Frau der Welt wenigstens in Erinnerung zu bleiben – stets verbirgt sich auch hinter dem Grundton berührender Tragik, selbst hinter den noch so finster humoristischen Gesellschaftsanalysen, immer auch ein gewisses Augenzwinkern, eine spürbare Freude.
Längst hat sich Christoph Hein als politisch denkender und auch gesellschaftlich engagierter Schriftsteller den Ruf eines Chronisten der Gegenwart erworben und dies zuletzt mit seinem Roman „Weiskerns Nachlass“ erneut unter Beweis gestellt. Das gelingt ihm auch jetzt wieder, mit seinem wunderbar geschriebenen Band „Vor der Zeit. Korrekturen“, seinen über einen Zeitraum von 10 bis 12 Jahren entstandenen Geschichten aus der alten Mythenwelt, die nur kraft einer genauen Beobachtungsgabe und Sicht auf das Heute als Fortschreibung neu erzählt werden können.
Christoph Hein stellt seinen neuen Erzählband „Vor der Zeit. Korrekturen“ am morgigen Donnerstag in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47 vor. Der Eintritt kostet 12, ermäßigt 10 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03
Daniel Flügel
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