Von Heidi Jäger: Götterzorn und Brudermord
Die 5. Märchennacht im T-Werk ließ kaum Zeit zum Atemholen
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Am Ende drohen unter dem mitternächtlichen Wellenschlag von Manfred, dem König, alle anderen zu ertrinken. Doch während der angeschmierte Herrscher von Stund an zwischen den Ufern vom Mühlbach und der Hölle staken muss, als Fährmann anlegt und ablegt, spülen sich am nächsten Morgen auch die anderen Helden wieder an die Oberfläche. Abu, Aladin, der große und der kleine Klaus.
Zwischen Prinzensuppe und Baba Jaga Spieß gilt es am Samstag zur 5. Märchennacht des T-Werks eine gewaltige Reise durch Zeit und Raum, Sturm und Flaute, Götterzorn und Brudermord zu durchstehen. Die Überschrift Feuer, Wasser und Posaunen nimmt den Mund nicht zu voll. Adesha aus Ghana trommelt auf zehn Quadratmetern einen ganzen Wald zusammen. Wie Flummis springen Tifi und Abu im Dschungel herum, singen, tanzen und hüpfen im atemberaubenden Tempo einer Gazelle. Die Kinder in den Zuschauerreihen helfen mit, das Abenteuer zu bestehen, schwingen ihre Arme wie Flügel, fahren die Krallen aus und geben Beistand, um den Leoparden zu fangen. Bei der Siegsfeier der stolzen Jagd-Eleven werden sie selbst zu kleinen Helden. Sie trauen sich auf die Bühne und mutieren zum Baustein waghalsiger akrobatischer Pyramiden. Aufgeheizt mit der Energie Afrikas, lässt es sich in der bürgerlichen Stube Europas – 150 Jahre zurückgedreht – wieder gut runtertouren. Dort geht es geradezu brav und gemütlich und vor allem immer schön langsam zu.
Christina Siegfried schaltet mit ihrem paperback papiertheater das Fernsehen unserer Ururururahnen an. Für ihre Mini-Wanderbühne besorgte sie sich historische Ausschneidebögen, aus denen sich die Leute früher ihre Helden und Kulissen lösten und sie in Guckkastenenge aufmarschieren ließen. Wie Aladin und die Wunderlampe. Wenn auch klein, hat die Bühne dieses Potsdamer Eine-Frau-Theaters eine schöne Tiefe, Licht und Musik beschwören den Zauber von 1001 Nacht. Und die Erzählerin versucht, den papiernen Helden durch die Verwandlung ihrer Stimme verschiedene Farben zu geben. Allerdings fällt durch die Umbauten zwischen den Bildern die Spannung immer wieder etwas ab, rutschen die kleinen Zuschauer in den Zwangspausen auf ihren Stühlen hin- und her.
Ging es bis zum frühen Abend rund um den quicklebendigen Schirrhof mit rund 500 Besuchern noch sanft zur Sache, wendet sich spätestens beim großen und kleinen Klaus das Blatt. Annette Wurbs und Peter Müller aus Neubrandenburg hauen drauf auf den Zaubersack, dass die Köpfe nur so fliegen. Nichts für zarte Gemüter, umso mehr für schwarzhumorige Seelen.
Dem stehen Theater Fusion und Theater Paradox aus Stuttgart in nichts nach. Sie bieten alles auf, was es an theatralischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten gibt, um die nordische Edda-Sage mit ihren Möchtegern-Helden auf die Schippe zu nehmen. Was soll auch schon rauskommen, wenn Riesen aus Achselschweiß und die Vernunft gar aus Spucke gezeugt wird. Letztendlich spucken alle auf sie und ziehen zu Felde, um sich gegenseitig auszurotten. Stephanie Rinke und Susanne Olbrich sind Zwerg und Riese, Gott und Krieger und zusammen mit ihren Puppen eine ganze Saga. Von der versteht man zwar nur die Hälfte, aber umso zündender sind Magie und Spielwitz. Doch 100 Minuten lang lässt sich die Spannung nicht halten, wenn die Zaungäste schon abgekämpft vom Mitziehen des Märchentross etwas in den Seilen hängen.
Und doch geht es mit dem Aufgebot der letzten Kräfte auch noch zu Manfred ins Boot. Ein Muss. Und nur für Erwachsene. Oder doch nicht? Da sitzen doch tatsächlich noch Steppkes von nicht mal einem Meter vor der Hölle und sind wie der Teufel mit seinen drei goldenen Haaren nicht tot zu kriegen. War der Prinzensuppe ein Zauberkraut beigemischt oder schafft es die Magie des Theaters, Wunder zu vollbringen? Ein bisschen war an diesem Abend wohl jeder Hans im Glück.
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