Kultur: Greisenliebe ist Narrenliebe
„Tödliches Heilkraut“: Ein ungewöhnlicher Film von Regine Kühn und Eduard Schreiber über den Dichter Erich Arendt
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„Tödliches Heilkraut“: Ein ungewöhnlicher Film von Regine Kühn und Eduard Schreiber über den Dichter Erich Arendt Der Dichter Erich Arendt mag gewesen sein, wie er wolle, doch eines muss man ihm lassen: Wen er je berührte, den scheint er ein Leben lang behext oder verzaubert zu haben. Dieses Eindruckes konnte man sich jedenfalls nicht erwehren, als eine unerwartet zahlenreiche Fan-Gemeinde ins Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus kam, wo, erstmals, eine Filmvorführung mit anschließendem Gespräch stattfand. „Tödliches Heilkraut", ein etwas ungewöhnliches Dokument von Drehbuch-Autorin Regine Kühn und Regisseur Eduard Schreiber, greift auf das letzte Lebensjahr von Arendt 1983/84 in Huchels einstigem Refugium zurück, nachdem ein Infarkt und der zweite Schlaganfall den greisen Lyriker gezeichnet hatten. Stets „in action“, immer der Geselligkeit bedürftig, kamen in dieser Zeit allerlei junge Leute in den Hubertusweg, darunter auch Hendrik Röder, heute Geschäftsführer des Brandenburger Literaturbüros Potsdam. Der welterfahrene Alte zog die Jugend scharenweise an, schon auf dem Prenzlauer Berg, wo sich der unangepasste intellektuelle Nachwuchs der DDR zu etablieren versuchte. Irgendwann war Schluss, Erich Arendt (1903-1984) zog es in den „Schlafort" Wilhelmshorst. Die schreibende und theaterspielende Jugend hinterher. Hier nun setzt auch der Film ein, doch musste man wohl zu den Eingeweihten gehören, um überhaupt zu verstehen, worum es da ging. Kein Kommentar führte in Zeit und Situation ein, plötzlich war Ragna da, jenes damals etwa 15-jährige Mädchen, welches sich, gelegentlich quälend, zwanzig Jahre später noch verklärt, ihres gemeinsamen Jahres mit Arendt besann. Er war längst ein Pflegefall in Demenz, völlig vereinsamt, sie versorgte ihn, wohnte sogar in dem Haus – und war seine Geliebte. In überlangen Sequenzen lässt der Film auch andere zu Wort kommen, die um ihn waren, etwa Hendrik Röder, von dem die heute so wertvollen Amateurfilm-Aufnahmen stammen, als Arendt mit Ragna den „meilenweiten“ Birkenweg entlangspazierte. Neben Ragna und ihm lässt „Tödliches Heilkraut“ auch deren Freund zu Wort kommen, welchen der Greis argwöhnisch und eifersüchtig beäugte. Arendt hatte und verkörperte, was der DDR-Jugend fehlte – Welterfahrung durch seine zahllosen Reisen: Spanien im Bürgerkrieg, Kolumbien als Exil im Kriege, Frankreich und Griechenland danach, und konnte also jede Menge Geschichten aus der sehnsuchtsvollen Ferne erzählen. Sein Lebensstil galt als unangepasst, ja nonkonformistisch, was allen Ostlern imponierte; anders als sein Ex-Freund Huchel hatte er auch Narrenfreiheit, das Seinige zu sagen. Sein Kosmos fasste, was in den Schulen nicht gelehrt wurde, griechische Mythologie, auch wenn er sie etwas seltsam interpretierte. Und in seinem Haus gab es verbotene Bücher aus dem Westen, selber mitgebracht. Auch privat muss er ein ganz angenehmer Bursche gewesen sein, Gourmet, Ästhet und erklärter Liebhaber des weiblichen Geschlechtes, wie sein langjähriger Freund, der Autor und Übersetzer Henryk Bereska, mitzuteilen wusste. Wundert man sich über solchen Magnetismus, damals? Mitnichten, doch wie jeder Film auch einen Rahmen braucht, so darf man gewisse Dinge zwanzig Jahre später auch anders sehen. Schon damals wurde er nicht viel gelesen – wer kennt ihn heute? Wenn jemand aus dem Auditorium meinte, Arendts Narrenfreiheit hätte daher gerührt, dass die Bonzen seine oft quälende Metaphorik „einfach nicht verstanden“ hätten, fragt man sich, ob das heute anders sei. Überhaupt fehlte in Film und Gespräch jedes Wort der Kritik, was diesen schwärmerisch-hehren Abend nur unnötig in die Länge zog. Man demonstrierte völliges Verständnis für des Greises Altersbegehren, dem Goethes mit Ulrike von Levetzow nimmer vergleichbar, denn der Weimarer rang seine Alterstriebe nieder. Für Dichter in der Zeit des Saturn ist eine platonische Liebe noch immer die beste. Das Juristische mal außen vor, machte sich Erich Arendt eher zu einem Narren aus Eifersucht. Greisenliebe ist doch nur Narrenliebe. Davon hätte sich besser reden lassen, als zu schwärmen und schnurren: Über das tödliche Heilkraut, vom Lyriker selber „Liebe" genannt. Aber das ist wohl kaum der Bezauberer Art. Gerold Paul
Gerold Paul
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