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Von Heidi Jäger: Grenzübertreter

Theaterfestival Unidram startet am 30. Oktober mit 22 Produktionen aus elf Ländern in sein 15. Jahr

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„Wir haben ganz viele, ganz schöne Sachen“, schwärmt Jens-Uwe Sprengel über das Jubiläumsprogramm. 15 Jahre wird Unidram: Ein aufbegehrendes, ein suchendes Alter. Die Pubertätspickel sind langsam verheilt, die innere Unruhe noch nicht vorbei. Genau richtig für ein Theaterfestival, das die grenzenlose Experimentierfreude aufstöbert. Alles ist erlaubt: nur nichts Abgegriffenes, Statuarisches. Dafür Abseitig-Aufwühlendes mit neuen Sichtweisen. Das ist es, worauf die vierköpfige T-Werk-Crew beim Jurieren der rund 250 Bewerbungen achtete und schließlich 22 Produktionen aus elf Ländern, darunter zehn deutsche Erstaufführungen, herausfilterte. Sie werden vom 30. Oktober bis 8. November das reiche Vokabular der darstellenden Künste von Tanz, Figuren- und Objekttheater bis zum Schauspiel und Performance auf der Bühne demonstrieren.

Ganz obenauf thront in diesem Jahr die Musik, wie Jens-Uwe Sprengel am Ende herausfand, nachdem das Festivalpaket bereits geschnürt war. „Wir haben sehr häufig Live-Musiker auf der Bühne.“ So bei „Rinderschlitzen“, einem Schauspiel der TART Produktionen theatertabs aus Stuttgart. Darin erzählt ein korrumpierter Privatpolizist in Halbsätzen, gehetzt und zerrüttet, seine Geschichte. Gleichzeitig gibt eine Sängerin lautmalerisch ihre Sound-Klang-Performance dazu. „Aus dieser Verschränkung entsteht etwas Neues, sehr Schräges“, so der T-Werk-Sprecher.

Inhaltliche Fragen spielen in den theatralen Angeboten indes eine eher untergeordnete Rolle. Statt zu erzählen, wollen die Stücke berühren, wie „Corpus Hominis“ von der italienischen Tanzgruppe Paola Bianchi, die drei Männer in extremen Positionen ausstellt: obsessive, extrem reduzierte, irritierende Körperbilder: „eine sehr berührende, aggressive Arbeit“, betont Jens-Uwe Sprengel.

Um Einsamkeit und die Auseinandersetzung mit dem Tod geht es in der neuen Produktion des Franzosen Damien Bouvet. Anrührend, wie er als weißgeschminkter Clown zärtlich einen Totenkopf birgt, ihm den Sand aus den Augenhöhlen puhlt und dann wie ein Baby vorsichtig in den Händen wiegt. Verstohlen schaut er auf den Schädel und hält mit ihm Zwiesprache, bis der Kopf allmählich beginnt, lebendig zu werden. Ein sehr fragiles Spiel, wie auf einer DVD zu sehen ist.

Zu einem melancholischen Musikhappening mit originellen Klangwunderdingern, die wie Operette klingen, sich jedoch bald in ein Requiem verwandeln, lädt die ungarische Theater- und Jazzgruppe Bladder Circus Company ein: ihr „Ball“ adaptiert Thomas Bernhards „Ein Fest für Boris“ und das Elend seiner beinlosen Figuren. „Sie sind wie traurige Clowns, die zusammen musizieren, doch deren Einheit immer wieder zerbricht“, beschreibt Sprengel den „Zirkus“.

Das zehntägige Jubiläumsprogramm hat in der Mitte – also am Mittwoch, den 5. November – seinen Höhepunkt: Dann wird zur Langen Nacht der Experimente gebeten, die auch zu einer Nacht der Entscheidungen werden dürfte. Schließlich gibt es 15 Angebote, die teilweise parallel um Aufmerksamkeit buhlen. Sie sind auf dem ganzen Gelände der Schiffbauergasse verstreut: in fabrik und Fluxus-Museum, Waschhaus und Theater. Eine kulturelles Pfadfinderspiel rund um 30 Feuerkörbe und mit kundigen Guides, die bei der Suche nach dem richtigen Ort behilflich sind. Auch die Foyers der Kultureinrichtungen sind geöffnet, so dass man sich in vielleicht stürmischer Novembernacht wärmen kann. Auf dem platt sanierten Schirrhof entsteht ein Riesen-Mikado-Turm, der allmählich in den Himmel wächst: ein filigranes Bauwerk des artistischen Schweizer Baukünstlers Georg Traber. Seine „himmlische Sondierbohrung der Erkenntnis“ gibt dem gepflasterten Platz vor dem T-Werk wenigstens kurzzeitig einen besonderen Akzent.

Dass die Lange Nacht der Experimente etwas von dem möglichen Charme einer sich vernetzenden Schiffbauergasse herauskitzeln kann, liegt an den 105 000 Euro, die die T-Werker bei 12 Förderern zusammengekratzt haben. „Auch Stadt und Land unterstützen uns, so dass wir unsere defizitäre Situation in den Griff bekamen“, sagt Festivalchefin Franka Schwuchow. „Wir haben fast alle Zuwendungsbescheide in der Tasche. Das überrascht uns selber und gibt eine Woche vor Festivalbeginn ein gutes Gefühl.“ Dennoch beklagt sie die Situation: „Wir haben nicht mal eine Personalstelle für das Festival“. So muss die kleine Mannschaft neben dem normalen Spielplan auch Unidram stemmen. „Gern würden wir mal auf andere Festivals fahren, uns inspirieren lassen und nicht nur nach DVDs entscheiden, wen wir einladen“, sagt Franka Schwuchow. Dass sie bislang dennoch einen guten Riecher hatte, liegt sicher an ihrer 15-jährigen Erfahrung, schließlich ist sie von Anfang an bei Unidram dabei. „Als wir starteten, gab es noch nicht mal E-Mails: Wir mussten Wochen warten, bis wir von den Gruppen eine Antwort erhielten“, erzählt Franka Schwuchow.

„Dass Unidram immer ein Kampf sein wird, war uns klar.“ Die Publikumsnachfrage gibt ihnen jedoch Rückhalt, 3500 Zuschauer zählte das Festival im vergangenen Jahr, fast alle Veranstaltungen waren ausverkauft. Die Lust an jugendlich-aufmüpfigen Grenzüberschreitungen teilen die T-Werker offensichtlich mit dem Publikum.

Unidram vom 30. 10. bis 8. 11., Infos unter 0331-719139 und www.unidram.de.

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