
© Poetenpack/Constanze Henning
Kultur: Grob geschnitzt
Die Shakespeare-Komödie „Was ihr wollt“ am Belvedere auf dem Klausberg
Stand:
Es bedarf nicht mehr als eines großen braunen Kastens mit ein paar Falltüren drin. Der wird zum kenternden Boot, zur Abhör-Hecke, schließlich zur Liebesinsel und zum Kerker. Das eigentliche Bühnenbild aber erhebt sich in schönster friederizianischer Pracht hinter dem Blättervorhang der Linde, unter der die Besucher fasziniert auf das beleuchtete Belvedere am Klausberg schauen.
Zu Shakespeares „Was ihr wollt“ sind die mit Decken, Pelerinen und Gummistiefeln herbeiströmenden Gäste an diesem nasskalten donnerstäglichen Premierenabend geladen. Doch der sommernärrische Himmel meint es gut. Er verbündet sich in letzter Minute mit den Narreteien auf der Bühne und lässt sie unbewässert erblühen. Erstmals führt der erfahrene Regisseur Carl-Hermann Risse bei der freien Potsdamer Theatergruppe „Poetenpack“ Regie: ein Kenner der Shakespeare-Komödie. Schon viermal nahm er sie sich dieses Stoffes an, in dem sich die Ereignisse überschlagen. Offensichtlich birgt er für ihn immer wieder neue Reize, die es hervorzulocken gilt. In diesem Fall entschied er sich für das grobgeschnitzte Karikieren der Figuren und versuchte alle Spielarten der Liebe zu ironisieren. Für tiefergehende Gefühle ist da wenig Platz.
Zur Zeiten Shakespeare wurden Frauenrollen ausnahmslos von Männern gespielt, so dass das komödiantische Element – ein Mann spielt eine Frau, die einen Mann spielt - zahlreiche Verwicklungen nach sich zogen. Die Verkleidung erlaubte die Freiheit und Lust an jeglicher Verbindung. Heute ist das Spiel schneller zu durchschauen. Risse besetzt seine Schauspieler in mehreren Rollen, lockt so verschiedene Facetten hervor. Das macht in diesem Verwirrspiel Spaß und Sinn, wo es permanent um Schein und Sein und um den Geschlechterwandel geht. Aber das Publikum erlebt keinen Rausch der Sinne, wie der Regisseur vorab prophezeite, eher einen oberflächlichen Klamauk.
Der begeistert das Publikum durchaus, das sich köstlich amüsiert und immer wieder Szenenapplaus gibt. Vor allem der charismatische, stimmgewaltige Lars Wild als Bleichenwang ist der ungekrönte König dieser turbulenten Unterhaltung. Sein Schweizer Dialekt hört sich köstlich an und gibt dem pointiert auftrumpfenden Spiel im glänzenden Schweinchenrosa-Kostüm eine markante Farbe. Doch es wird nicht nur geschwyzert und verenglischt, sondern auch berlinert, was der Sprache Shakespeares zwar hiesige Bodenständigkeit hinzusetzt, aber nicht immer ein Hörgenuss ist. Gerade beim Narren vernuschelt sich so manche der lebensweisen Botschaft, die der illustren Party-Gesellschaft ja den Spiegel vorhalten soll. Doch Wolfgang Heiderich fehlt es insgesamt bei dieser Aufführung an Präsenz, und manch seiner zu leise gesprochenen Worte verhallen ungehört. Erst nach der Pause weiß er als Narr seinen Platz mehr und mehr auszufüllen und mit seinem Abschiedslied schließlich eine warmanrührende Stimmung zu zaubern.
Ort des Geschehens dieser Komödie ist das wundersame Eiland Illyrien. Ein Schiffbruch spült Viola dort ans Land, die sich Männerkleidung überstreift und in den Dienst des Grafen Orsino tritt. In den verliebt sie sich Knall auf Fall. Doch der schmachtet nach Lady Olivia. Der vermeintliche Page soll nun Olivia für Orsino günstig stimmen. Doch die verliebt sich auf der Stelle in den dienenden „Jüngling“. Das ist nur eine der vielen Verirrungen, denn schließlich hat Viola noch ihren Zwillingsbruder Sebastian, der ebenfalls bei dem Schiffsbruch strandete, aber von seiner Schwester tot geglaubt ist. So verschränken sich unwissend die Schicksalswege der beiden gleichaussehenden Geschwister und verknoten die gesponnenen Liebesfäden immer neu. Das alles ist durchaus für den Zuschauer leicht zu entwirren, auch die Doppelbesetzungen überfordern ihn keineswegs. Dafür sorgen natürlich auch die einfallsreichen zeitlosen, den Charakter der Figuren herausstreichenden Kostüme von Claudia Möbius, die besonders bei dem gespreizten Haushofmeister Malvolio (Peer Göring) den Witz zu forcieren weiß. Er wird durch eine Intrige zum Narren gemacht und wechselt sein akkurates Schwarz-Weiß mit quittegelben Strumpfhosen und aufreizenden Lackschnüren, um seiner Herrin Olivia zu gefallen. Malvolio ist die einzige Figur, die wirklich der Lächerlichkeit preisgegeben und für schwachsinnig erklärt wird und am Ende Rache schwört. Peer Göring ist der Gockel, der Genasweiste und spielt das durchaus effektvoll aus. Doch hätte er auch die Gefährlichkeit des zutiefst Verletzten noch stärker herausstreichen können. Insgesamt fehlt der Inszenierung die der Komödie Shakespeares drunterliegende Tragik. Denn das überbordende Spiel um die Liebe und Verlangen zeigt auch eine tiefe Sehnsucht und innere Leere. Das klingt bei Olivia (Gislén Engelmann) etwas an. Sie entpuppt sich als liebeshungrige Frau, die schnell alle Etiketten des herrschaftlichen Anstands abwirft. Ihre Stimme kippt, sie wird zur hysterischen Göre, die auf allen Vieren über den Boden kriecht, um bei dem begehrten „Pagen“ aufzusitzen. Spürt sie hinter der männlichen Fassade das Weibliche? Eröffnet sich ihr unwissentlich eine homoerotische Neigung?
Anja Reßmer schlägt sich zugkräftig als Viola und Sebastian: mal in burschikoser, mal in weiblicher Art. Ein schönes Bild, als sie Arme und Beine kreuzt und den verschlungenen Knoten des Spiels vor Augen führt. Nachhaltig auch die Szenen mit ihr als Sebastian und dem aufrichtig helfenden Freund Antonio (Thea Schnering), die dem angetrunken-gackernden Völkchen am Hofe Olivias angenehm leise Töne entgegensetzen.
Ob am Ende die Liebessehnsüchte wirklich gestillt werden, wenn sich die „richtigen“ Geschlechter paaren? „Besser ein weiser Tor, als ein törichter Weiser“, sagt der Narr. Und singt sein eigenes Lied. Die von Arne Assmann und Miriam Bohse sparsam, aber effektvoll eingesetzte Musik erweist sich ebenso wie das assoziationsreiche Bühnenbild von Robert Pflanz als wirksamer „Mitspieler“ der zumeist temporeichen und wortwitzigen Vorstellung, der man allerdings mehr Doppelbödigkeit gewünscht hätte.
Weitere Vorstellungen: 23., 28., 29., 30. Juli, jeweils 20 Uhr, Belvedere auf dem Klausberg,
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