Kultur: Großer Gewinn an Erkenntnis
Neues Buch zum 850. Jubiläum der Mark
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Der Blick über den Schwielowsee wirkt heute beschaulich. Kein Auge könnte erkennen, dass noch vor einhundert Jahren 25 qualmende Schornsteine aus den Baumwipfeln ragten. Wer waren ihre Besitzer, wie lebten die Arbeiter, von welchen Regenten und Beamten wurden sie geführt? Dank einer mehr als 1300 Seiten umfassenden Neuerscheinung kann man sich diese und fast alle anderen Fragen zur Geschichte des Potsdamer Raums jetzt beantworten.
Nachdem die Autoren Olaf Thiede und Jörg Wacker in einer September-Veranstaltung der „arche“ bereits das Geheimnis um die Geometrie Potsdams gelüftet hatten, stellten sie nun am gleichen Ort eine weitere Neuerscheinung vor, ihre fast enzyklopädisch angelegte „Chronologie. Potsdam und Umgebung“. Das 1300 Seiten dicke Opus bereitet in drei reich illustrierten Bänden die hiesige Kulturlandschaft von 800 bis 1918 auf. Nach Personen, Daten und Themen geordnet, findet der Leser darin alles, was sich über den Landstrich zwischen Brandenburg, Potsdam und Berlin nur ermitteln ließ: gekrönte Häupter und ihr Gefolge, Landgrafen, Kurfürsten, Bischöfe, Äbte sowie der Landadel im ersten Buch, indes die Folgebände ausführlich „Ereignisse und Bauwerke“ behandeln.
Nichts blieb ungeprüft. Allein 190 Orte wurden im Laufe der letzten Jahre bereist. Was war, was blieb, was ist daraus geworden? Ersterwähnung von Flecken nebst ihrer sich wandelnden Namen, Besitzverhältnisse, Kirchen, Friedhöfe, Klöster, Rathäuser und Richtstätten, Wehrburgen und Kasernen, Gärten und Parks, Schlösser und Gutshäuser, Kanäle und Brücken, Villen und repräsentative Mietswohnhäuser, Verkehrsnetze und Manufakturen, Wind- und Wassermühlen, Wissenschaftsstätten und Gasthöfe – ein Kompendium Brandenburgs eben, chronologisch geordnet und auf den neuesten Stand der Forschung gebracht. Alles sollte zudem „mit sozialem Blick“ dargestellt werden, neben den Regenten zum Beispiel auch Kindersterblichkeit durch Armut, Kriege und Seuchen. „Alles hat Ursachen, alles hat Konsequenzen“, sagte Olaf Thiede. Solches Wissen steigere die Achtung vor der Lebensleistung unserer Vorfahren, man gehe anders durch die heutige Stadt, wenn man ihr Gewordensein, ihre inneren Zusammenhänge kenne, Straßen, Kanalisation, Bebauung, die Geschichte von Häusern, Architektennamen ...
Neben dem Bemühen, im Illustrativen einen Stil zu pflegen, kam es Wacker und Thiede (gelernter Büchermacher) darauf an, Großes und Kleines zu verbinden, so wurde besonders die Leistung der „Heimatforscher“ gewürdigt. Auch methodisch macht die opulente Neuerscheinung viel her. Sie funktioniert „nach Art eines Computers“: Gesamtübersichten plus Stichworte führen immer tiefer in die Chronologie der Materie, wozu auch eine Vernetzung nach Art von Links gehört. „Vernetzung“ wie damals: wenn Berliner Unschlitt die Schleusen verstopfte, kam die Cholera eben nach Brandenburg. Diese Methode eigne sich zum Querlesen genauso wie für die Konzeption von Vorträgen oder Stadtführungen, sie spricht Laien und Fachkräfte gleichermaßen an. Findet man unter dem Schlagwort „König“ auch die passenden Gärten samt ihren Schöpfern und Gärtnern, so zum Thema Ziegeleien halt die Zahl der Schlote am Schwielowsee. Nun hat man sie bei jedem Spaziergang vor Augen. Chapeau! Das Werk endet 1918, wo die alten Hierarchien zerbrachen und auch offenbar das gesammelte Material durcheinander geriet. Man wollte lediglich „einen Grundstein“ legen. Ist eine Fortsetzung geplant? „Von uns nicht!“, so die eilige Antwort. Der finanzielle Grundstein stammt übrigens von eon/-edis, sonst wäre gar nichts geworden.
Ein Glücksgriff also, „preislich hart an der Schmerzgrenze“. Das Opus wird ab 7. Dezember nur im „Internationalen Buch“ angeboten, Auflage tausend, Nachschub ist nicht in Sicht. Gerold Paul
Olaf Thiede, Jörg Wacker, Chronologie. Potsdam und Umgebung - Die Kulturlandschaft von 800 bis 1918, Brandenburg, Potsdam, Berlin, Drei Bände, 1308 Seiten, 516 Abbildungen, 99.80 Euro
Gerold Paul
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