Kultur: Großes aus Banalem stricken Der Autor Thomas Glavinic liest in Potsdam
Alles beginnt mit dem Ende: In Thomas Glavinic’ Roman „Das größere Wunder“ ist das natürlich nicht der Tod der Hauptfigur Jonas, sondern der dreier Sherpas, die ihn und ein paar andere Touristen auf den Mount Everest begleiten. Doch Jonas selbst ist auch nicht ohne Grund hier oben, in einem der Basislager, an die Grenzen seiner selbst.
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Alles beginnt mit dem Ende: In Thomas Glavinic’ Roman „Das größere Wunder“ ist das natürlich nicht der Tod der Hauptfigur Jonas, sondern der dreier Sherpas, die ihn und ein paar andere Touristen auf den Mount Everest begleiten. Doch Jonas selbst ist auch nicht ohne Grund hier oben, in einem der Basislager, an die Grenzen seiner selbst. Er ist hier, weil er ein Ende hinter sich hat: Das Ende einer Liebe. Klar, das klingt ziemlich kitschig, das hat auch unter anderen die „FAZ“ Glavinic vorgeworfen. Trotzdem ist „Das größere Wunder“ weit mehr als eine weitere Story über einen überspannten Kerl im besten Alter, der sich selbst und somit auch sein Glück nicht findet.
Los geht für Jonas alles in Österreich – von dort stammt auch Glavinic selbst, der am Freitag in der Viktoriagarten-Buchhandlung in Potsdam-West aus seinem jüngsten Roman liest. Der ist zugleich der dritte Teil einer Triologie – auch in den beiden Vorgänger-Romanen, „Die Arbeit der Nacht“ und „Das Leben der Wünsche“ heißen die Hauptfiguren Jonas. Während im ersten mit einem Schlag alle Menschen bis auf den Titelhelden von der Erde verschwunden sind, erfüllen sich im zweiten alle bewussten und unbewussten Bedürfnisse dieses Jonas. Beide Male endet alles in einer Katastrophe.
Klar ist also: Bei Glavinic geht es eher düster zu. Seine Ideen, sagt der Autor, der 1972 in Graz geboren wurde und heute mit seiner Familie in Wien lebt, kämen ihm oft im Schlaf. Besonders gut schläft er wohl nicht, selten, sagte er im selben Interview, komme er dabei ohne Licht und Radio aus. Der Qualität seiner Arbeit tut das offenbar keinen Abbruch, drei seiner bisher zehn Romane standen schon auf der Nominierten-Liste für den Deutschen Buchpreis – zuletzt eben „Das größere Wunder“. Der gliedert sich in zwei Handlungsebenen – die akut bedrohliche Situation auf dem eisigen Berg, mit allen Qualen wie Übelkeit, dreckigen Kloaken und unfassbarer Erschöpfung – und Jonas Erinnerungen. An Marie, seine Liebe, die er in Südamerika getroffen hat, an seinen Großvater Picco, bei dem er und sein behinderter Zwillingsbruder Mike aufgewachsen sind. Picco war eine Art Mafia-Boss, bevor er sich das Leben nahm und seinen schier unbegrenzten Reichtum an Jonas vermachte, der jetzt seine Reisen damit finanziert.
Für diese Erinnerungen zitiert Glavinic einen, der sich mit dem Thema bestens auskennt: Wie in Marcel Prousts Monumentalwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ funktioniert sie auch bei Jonas über Gerüche. „Die Zeit, als er sieben oder acht war und lernte, dass das Leben nicht einfach sein würde, roch nach dem starken Filterkaffee seiner Mutter.“ Das war eine Zeit, in der Jonas eine ganze Reihe abgedroschener Weisheiten aufgeschnappt und weiterplappert hatte – „ich will der werden, der ich bin“, sagt er einmal zu Picco. Das Wundersame an Glavinic ist, dass er daraus keinen platten Roman strickt, sondern diese banalen Weisheiten wachsen lässt zu etwas Größerem. Ariane Lemme
Thomas Glavinic liest am Freitag, 11. April, um 20 Uhr in der Buchhandlung Viktoriagarten, Geschwister-Scholl-Straße 10. Der Eintritt kostet 10, ermäßigt 8 Euro
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