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Kultur: Großes Kino auf Nylon

Der Gitarrist Aldo Lagrutta im Alten Rathaus

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Übertreibungen sollte niemand unterschätzen. Als „Paganini der Gitarre“, sogar als „Chopin der Gitarre“ wurde der Venezolaner Aldo Lagrutta auf Plakaten gepriesen, die für sein Konzert spanischer Gitarrenstücke in Potsdam warben. Klappern gehört bekanntlich zum Geschäft. Aber bei solchen Superlativen bleibt meist ein leicht bitterer Beigeschmack, ob da nicht vielleicht doch nur heiße Luft in den Werbe-Ballon geblasen wird. Der Werbeeffekt zumindest blieb bei Lagrutta nicht ohne Wirkung. Der Saal im Alten Rathaus am späten Sonntagnachmittag war fast ausverkauft. Und was das Spieltechnische betraf, hatte Lagrutta schnell Überzeugungsarbeit geleistet. In der Pause herrschte regelrechte Aufruhr an dem kleinen Tisch, wo es CDs vom Meister zu kaufen gab.

Mit „Gran Jota Aragonesa“ von Francisco Tárrega (1852-1909) hatte sich Aldo Lagrutta in die Pause verabschiedet und damit, im wahrsten Sinne des Wortes, die Katze aus dem Sack gelassen.

Sechs Etüden von Fernando Sor (1778-1839) dienten Lagrutta als Eröffnung für sein Konzert. Sechs kurze, galante Stücke, eigentlich nur Aufwärmübungen für diesen Gitarristen. Es folgte die Sonate no.1 D-Dur Op. 14 von Sor, die Lagrutta mit einer bewussten leichten Steifbeinigkeit, einer Prise akademischer Hochnäsigkeit spielte, die diesem Stück eine ganz besondere Note gab. Mit Tárregas „Capricho Árabe“ dann der Griff in Standardkiste, was das Repertoire der klassischen Gitarre betrifft.

Farbig und kontrastreich, wie hier Tárrega die Eroberung Spaniens durch die Mauren verarbeitet. Technisch makellos, wie sich Lagrutta dieser Komposition annimmt. Doch manchmal hätte man sich hier etwas mehr Kraft und Ausdruck gewünscht, um an diesem so oft Gespielten ein paar neue Seiten zu entdecken. Dann kam „Gran Jota Aragonesa“ an die Reihe und Lagrutta fegte auch die letzten Zweifel aus dem Saal.

In Tárregas Komposition über einen schlichten spanischen Tanz ist alles vorhanden. Virtuose Ausgelassenheit, banale Spielereien, Coolness, wenn Lagrutta nur mit der linken Hand auf dem Griffbrett spielt, Witz und Show. Da pfeifen die Piccoloflöten, marschieren die Soldaten und knallen die Trommeln. Großes Kino auf sechs Saiten Nylon. Und Lagrutta spielt das mit erstaunlicher Gelassenheit. Aber das zeichnet den Virtuosen aus: Er spielt das Anspruchsvollste, als wäre es das Einfachste.

Nach der Pause dann vier Castillos von Moreno Tórroba (1891-1982), kleine lichte Stücke, die Lagrutta mit Bewusstsein für jede noch so flüchtige Nuance spielte. Die „Asturias“ und „Granada“ von Isaac Albéniz (1860-1909), und die „Serenata Espanola“ von Joaquin Malatz (1872-1912) letztendlich nur Bestätigung des schon Gehörten: Hier spielt einer auf ganz hohem Niveau.

Dann erhob sich Aldo Lagrutta von seinem Stuhl und verabschiedete sich mit leichter Verbeugung und feinem Lächeln. Doch Hartnäckigkeit zeichnete das Publikum aus und zwei Zugaben musste der Meister noch spielen. Vom anfänglich bitteren Beigeschmack, was die unsäglichen Vergleiche mit Paganini und Chopin betraf, war da schon längst nichts mehr zu spüren. Dirk Becker

Dirk Becker

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