
© Marc Bernot
Kultur: Grunge und Love Boat
Pothead, seit 20 Jahren erfolgreich in Deutschland, spielen heute Abend in der Waschhaus Arena
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Warum kommen Anfang der 90er-Jahre zwei Amerikaner zum Musikmachen von Seattle nach Berlin? „Die Kneipen waren länger offen“, sagt Brad Kok. „Wir waren Mitte 20 und in Seattle wurde einem nachts um eins das Bierglas aus der Hand genommen, egal ob es leer war oder nicht.“ Der Pothead-Gitarrist und Sänger sitzt mit dem Bassisten Jeff Dope und Schlagzeuger Nicolaj Gogow am Küchentisch im Pothead-Hauptquartier in Berlin Mitte. Es gibt Kaffee – und auf der neuen CD „Jackpot“ sogar ein Lied, das einer bekannten britischen Teemarke gewidmet ist. Wird die Band, die heute in der Waschhaus Arena spielt, womöglich ruhiger?
Tatsächlich sind sie derzeit etwas gehandicapt, denn Schlagzeuger Gogow hat sich noch nicht komplett von seinem Trümmerbruch im linken Fuß erholt. „Ich spiele trotzdem alle Konzerte“, sagt er und grinst. Die Fußbewegung am Pedal ist anders als beim Laufen, es sei kein Problem. Gogow ist seit gut einem Jahr bei Pothead, sein Vorgänger Sebastian Meyer, jetzt bei Gogows früherer Band Knorkator. Statt wilder Show ist jetzt Anzug auf der Bühne angesagt, Gogow findet es gut. Er schätze auch seinen neuen Spielraum. Bei Knorkator waren sie fünf, bei Pothead nur noch drei Musiker.
„In einfachen Strukturen liegt die Kraft“, sagt Jeff Dope über die unverwüstliche klassische Dreierkombination. Das Ergebnis sind Songs ohne viel Tamtam, die meist in drei Minuten passen, und Konzerte ohne Raucherpausen, in denen sie einen Titel nach dem anderen rausschmeißen, unterbrochen nur durch ein trockenes „Danke“.
Aus Seattle haben sie nicht unbedingt den totalen Grunge mitgenommen, aber doch Unabhängigkeit in Sachen Stil. Zusammen mit der neuen Berliner Freiheit – und den Kneipenöffnungszeiten – ergab das ein Nischenprodukt. Ein Soundungetüm, das Fans an den ersten Gitarrenriffs jedes Titels sofort erkennen. Den schweren, satten Sound kombinieren sie bisweilen mit etwas Disko, Funk und Ethno. Und immer finden sie zu sich selbst zurück. „Die Fans wollen rocken“, sagt Brad. Deshalb werden sie auch das anrührende „Overblown“ der neuen CD „Jackpot“ live nicht spielen. Jede Platte habe so einen Pothead-Loveboat-Song, sagen sie, das sei etwas für zu Hause. Und ja, sie seien eben auch mal romantisch.
Daneben haben sie sich wie gewohnt auf der neuen CD politisch geäußert oder ihr Rocker-Schicksal besungen. Die Texte sind manchmal nicht ganz einfach zu dechiffrieren, aber das stört sie nicht. Wichtig ist ihnen, dass die Konzerte gut sind. Man müsse live spielen, um für die Fans da zu sein. Die Anfangsphase, als sie vor einer Handvoll Leuten spielten, ist lange her. „Aber wir kennen auch diese Schmerzen“, so Brad Kok ein wenig theatralisch.
Heute produzieren sie fast jedes Jahr in Eigenregie ein neues Album und veranstalten im Sommer ihr legendäres Potstock-Festival auf dem Brandenburger Land mit 2000 Campern. In Potsdam gaben sie 1993 ihr erstes Konzert, damals noch im alten Waschhaus, der rohe Saal ist ihnen noch gut in Erinnerung. Aber trotz des Erfolgs in Deutschland und sporadisch jenseits der Grenzen wollen sie es nicht noch einmal in den USA zu versuchen. Die sogenannte Grunge-Szene in Seattle sei damals ohnehin überwertet gewesen, finden sie: „Das waren 50 Musiker, die Hälfte drogenabhängig“, sagt Brad Kok. Ihr Bandname Pothead ist vielleicht der einzige freche Tribut an diese Zeiten. Und beschert ihnen bis heute ab und zu Probleme. Jahrelang hätte ein V-Mann Backstage rumgelungert und mitgefeiert, sagen sie, und noch immer bekommt die Bandmanagerin Herzrasen, wenn Uniformierte im Büro klingeln. „Dabei wollen die nur CDs oder Tickets kaufen, denn zu unseren Konzerten kommen ja alle, auch Anwälte und wohl auch Polizisten“, sagt die Managerin. Steffi Pyanoe
Pothead am heutigen Freitag, 21 Uhr, in der Waschhaus Arena, Schiffbauergasse. Die Karten kosten 25 Euro
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