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Kultur: Gummi-Tarzans Stärke

Am Donnerstag hat das Kinderstück „Stark für einen Tag“ im Hans Otto Theater Premiere

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Ein1,90 Meter großer Bodybuilder in der Hauptrolle? Regisseurin Kerstin Kusch war natürlich klar, dass das für das Stück „Stark für einen Tag“ nicht funktionieren würde – schließlich ist Ivan in der ersten Klasse. Und einen Erstklässler gibt Hauptdarsteller Jan Jaroszek beim besten Willen nicht ab. Mit 28 Jahren und 1,76 Metern Größe geht er wirklich nicht als Mobbing-Opfer durch, um das es im 1975 erschienenen Kinderbuch des dänischen Erzählers Ole Lund Kirkegaard geht. Es hilft ein Trick: „Ich trete einfach als älterer Ivan auf die Bühne“, sagt Jaroszek. Die Geschichte wird retrospektiv erzählt.

Wenn man in den Erinnerungen an seine Kindheit kramt, kommt manchmal Schönes hervor – im Falle von Ivan Olsen jedoch ganz viel Schlimmes: „Ivan öffnet sozusagen die Erinnerungsbüchse der Pandora“, sagt Kerstin Kusch. In „Stark für einen Tag“ ist Ivan ein schmächtiges Kerlchen, das weder stark ist, noch über eine große Klappe verfügt. Wenn er in die Schule kommt, ist er sofort ein Opfer, einer, der eine perfekte Angriffsfläche bietet. Gleich morgens setzt es die erste Tracht Prügel von den Größeren und außerdem „Hosenwasser“ – er bekommt Wasser in die Hose geschüttet, sodass es aussieht, als ob er eingepinkelt hat. Auch im Unterricht hält Ivan nicht mit, sogar beim Sport holt er sich stets eine blutige Nase.

Zu allem Überfluss hat er dann auch noch einen Vater zu Hause, der ihn dazu verdonnert, sich zur Wehr zu setzen: „Willst du ewig ein Schwächling bleiben?“, fragt er ihn. Ivan mag aber nichts gelingen, so sehr er sich auch bemüht – bis ihm eines Tages eine Hexe erscheint, die ihm einen Zaubertrank braut. Für einen Tag gehen ihm alle Wünsche in Erfüllung, niemand macht sich über ihn lustig, er wehrt sich und weist sogar seinen Vater in die Schranken. Doch am Tag darauf ist alles so wie bisher.

Kerstin Kusch, die auch als Theaterpädagogin im Hans Otto Theater arbeitet, war aufrichtig erschrocken, als sie das Stück las: „Die Geschichte ist sehr schwarzmalerisch und endet wirklich richtig böse“, sagt sie. So wollte sie sie auf keinen Fall enden lassen.

Doch Ole Lund Kirkegaard hatte, so heißt es, eine drastische Intention mit seiner Erzählung: Wenn sich für die Figur selbst nichts dauerhaft ändert, so soll es doch wenigstens für den Leser Konsequenzen geben. Kerstin Kusch fand schließlich eine Lösung, ein konventionelles Ende, aber eines mit Augenzwinkern. Die grundsätzliche Frage bleibt: Müssen sich die Schüchternen, Schwächeren immer gegen die Starken behaupten? Warum muss ein Junge eigentlich immer stark und frech sein? Im Grunde, sagt Kerstin Kusch, sei es gar kein Stück, das Mobbing thematisiere. Es gehe viel mehr um überkommende Rollenbilder: Ivans Vater etwa schlägt seinem Sohn Tarzan als Identifikationsobjekt vor, den überstarken Wilden – sicher eine Figur, die heute nicht mehr so als Vorbild taugt. Vielleicht hat das auch Kirkegaard damals erkannt: Die Erzählung heißt im Original „Gummi-Tarzan“, ein Bild, das Stärke und Biegsamkeit vereint. Das überholte Vorbild Tarzan wird im Stück dann ad absurdum geführt. Aber gerade die familiären Konstellationen machen das Stück nicht nur für Schulklassen interessant: „Man spricht ja heute oft von vaterlosen Gesellschaften“, sagt Kerstin Kusch. Im Stück aber tritt die Mutter in den Hintergrund.

Während Kerstin Kusch das Stück inszenierte, bezog sie Kinder mit ein, konfrontierte sie mit expliziten Fragen: „Was wäre, wenn du jemandem in die Fresse hauen könntest, aber am nächsten Tag nicht mehr?“ Manchmal habe sie sich gefragt, ob die Inszenierung an manchen Stellen nicht zu wüst gerate – aber irgendwann festgestellt, dass Kinder genauso grausam sein können wie andere Menschen auch. Außerdem sei ja schon die Vorlage unbarmherzig. Die, die schnell weinen, seien die Opfer, erfuhr sie von den Kindern – und die lieferten gleich ein paar Ideen für die Inszenierung: So wird etwa Ivan eine Seite aus seinem Buch gerissen. Offenbar eine perfide Gemeinheit in den Augen eines Erstklässlers.

Ole Lund Kirkegaard, der Unbarmherzigkeit als stilistisches Mittel benutzt hat, wurde am Ende selbst ein Opfer: In einer Winternacht fiel der Lehrer auf dem Heimweg hin und schaffte es nicht mehr aufzustehen. Mit gerade einmal 38 Jahren erfror er in der Eiseskälte Dänemarks. Oliver Dietrich

„Stark für einen Tag“ ist für Kinder ab sechs Jahren geeignet und hat am Donnerstag, dem 26. Februar, um 10 Uhr Premiere in der Reithalle des Hans Otto Theaters, Schiffbauergasse. Außerdem zu sehen ist es unter anderem am 27. Februar um 10 Uhr, am 1. März um 15 Uhr, am 11. März sowie am 12. März jeweils um 9 Uhr und um 11 Uhr

Oliver Dietrich

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