Kultur: Guru im Glück
Bobby McFerrin & Chor im ausverkauften Nikolaisaal
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Er hat ihn nicht gesungen, seinen wohl größten Hit, auf den viele Konzertgänger Sonntagabend im Nikolaisaal warteten. „Don’t worry, be happy“ – das hörte man allenfalls einige Besucher auf dem Heimweg summen, nach einem großartigen Konzert von Bobby McFerrin und seinem Ensemble Slix & Friends, ein Projektchor aus 18 Sängern, Stimm-Individualisten. Von dem Song aus dem Jahr 1988 über Unbeschwertheit, Gottvertrauen und fröhliche Zuversicht brachte McFerrin allerdings eben dieses Motto mit, für einen Abend voller Leichtigkeit und ungewöhnlicher, musikalischer Virtuosität.
Lange vorher war das Konzert ausverkauft gewesen, auch wenn diesmal kein Star mit Band auftrat, sondern der 64-Jährige zeigte, dass man ihn auf seinen weltweiten Chartbreaker nicht reduzieren darf. Mc Ferrin, Multiinstrumentalist, Dozent und begeisterter Dirigent, ist vor allem Sänger und Vokalkünstler, jemand, der Stimme und Körper einsetzt, um einen unglaublich variablen Klangkosmos zu produzieren.
Er allein auf einem Stuhl, mitten auf der Bühne, so beginnt das Konzert: ein Mann in Jeans und schwarzem T-Shirt, der sein Mikro abwechselnd an Mund, Kehlkopf und Brustkorb hält, der aus Halbsätzen und Silbenfolgen in allen Tonlagen, aus Klick- und Schnalzgeräuschen, aus Bodypercussion ein Musikstück entstehen lässt, das den Saal füllt. Dann wendet er sich den im Halbkreis sitzenden Chorsängern zu, lässt die Impulse, Melodiefetzen, Rhythmusspiele in die Runde fließen, bis daraus ein vielstimmiges Stück entsteht: eine Fuge, ein Quodlibet, ein Tanz? Denn immer wieder stehen sie auf, die Vokalisten, sie wippen und tanzen, sortieren sich neu, wenden sich beim Improvisieren einander zu, hören zu, probieren aus – und haben Spaß. Sie sehen aus wie eine bunte College-Band, vielleicht bei einer Chorprobe. „We are just hanging out“, wir hängen nur ein bisschen rum, sagt McFerrin in schönster Tiefstapelei: Er, der Guru, der die Fäden zusammenhält, die Stimmen zu Stücken aufbaut und diese fließen lässt. Es ist eine ganz spezielle A-cappella-Mixtur aus Jazz, Blues, der Klassik entnommenen Zeilen, aus Pop und vielem, das der mitteleuropäische Konzertbesucher gemeinhin in die Schublade „Afrikanisches“ packt. „Vocabularies“ eben, das McFerrin-Vokabular, Sprachfetzen, Harmonien und Rhythmen, deren Abfolge, Anfang und Ende nur durch die Lust und Laune des Dirigenten bestimmt werden.
Mitten im Stück wendet er sich ans Publikum, verteilt Aufgaben, lässt die aberwitzigsten Geräusche und Tonfolgen kopieren, Vogelstimmen, Pfeifen, und plötzlich ist es ein Mitmachkonzert. Während er die Stücke seines eigenes Chores mit einem genuscheltem „Alright“ quittiert, bekommt der Besucherchor ein „Bravo“. Das Publikum hingegen ist fasziniert, wenn einzelne Sänger Musikinstrumente imitieren wie Posaune und Trompete, wenn die Frauen zart-fedrig beginnen und die Bässe mit dumpfem Du-Wap antworten. Minutenlang improvisieren sie über eine Textzeile, „Swing the Morning“, und es wird einfach nicht langweilig, nur immer lauter, bis McFerrin mit ein paar Schlägen auf seine Brust – es klingt wie eine Konga – wieder für Stille sorgt.
Und dann kommen doch noch ein paar Hits, sie singen ihre Version von „I can see clearly now the rain is gone“ und „Sweet Home Chicago“. Die Zuhörer erklatschen sich eine Zugabe, und so endet der Abend, wie er begonnen hat – mit einem Solo von Stimme, Hals und Brustbein, Bobby McFerrin braucht nicht mehr.Steffi Pyanoe
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