Kultur: Gutes Gelingen
Es gab Alternativen zum Silvester-Rummel: Die musikalische Andacht in der Friedensgemeinde
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Wiederum lud die Friedensgemeinde eine Stunde vor dem Jahreswechsel zu einer musikalischen Andacht, darin der gehetzte und geplagte Zeitgenosse fünfundvierzig Minuten der Sammlung, des Friedens, der Besinnung und des Ausblickes finden konnte, so er wollte. Viele kamen zu „des Jahres letzter Stunde“, sehr viele, und niemand wurde im Zweifel belassen, dass dies eine christliche Veranstaltung sei.
„Der Du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen“ – so steht es im neuen Gesangbuch Nr. 64. Der Potsdamer Autor Jochen Klepper hatte sein Verhältnis zum Höchsten schon 1938 ganz in der Gewissheit in gute Verse gefasst, wonach alles Menschenwerk kurz und brüchig sei und erst Gott es vollendet. Von der mitternächtlichen Gemeinde in der gutbeheizten Friedenskirche gesungen, begleitete das unbetitelte Lied die ganze Andacht sukzessive.
Die musikalische Gestaltung oblag dem bewährten Organisten Markus Gotthard. Er spielte zu Beginn die kraftvoll-festliche Toccata in F-Dur von Dietrich Buxtehude, später folgte, sehr feinfühlig dargestellt, ein Instrumentalstück von Cesar Franck, die feinsinnige „Pastorale“. Worte der Besinnung hielt Stadtpfarrer Markus Schütte für das aufmerksam lauschende Auditorium bereit: Besser, als in des Jahres letzter Stunde „mit viel Ungewissheit“ auf ein Licht zu warten, sei es, notfalls auch durch die dunkle Pforte des neuen Jahres zu schreiten, ganz auf Gott vertrauend, denn Er halte nicht nur die Zeit in Händen, sondern das ganze Geschick dieser Welt und der Menschen. Ein Deist, ein Gläubiger aus Vernunft, würde solch ein Credo niemals über die Lippen bringen.
Der von Klaus Büstrin vorgetragene Psalm 90 schloss nahtlos an diesen Gedanken an: Vor Gott ist unsere Lebenszeit verschwindend gering, achtzig Jahre vergebliche Mühe, achtzig Jahre „nur Geschwätz“ – wer könnte da widersprechen? Über diesem Abend lag viel Stille, Demut, Sorge, aber auch alle Hoffnung, dass Er richten möge, was der Mensch in seiner Unvollkommenheit nicht vermag, oder verdirbt. Auch ein sehr persönlicher Text des PNN-Kulturchefs meditierte über die Zeit: Vieles, was das abgelaufene Jahr gebracht hat, verdiene „bedacht und notiert zu werden“, denn „wir sind schon ziemlich alt“. Für ihn ist die Vergangenheit „bekannt, aber abgeschlossen“, die Zukunft „unbekannt, aber veränderbar“, doch „was vorbei ist, kommt anders wieder“. Nichts sei aus und fertig, „alles noch im Werden“. Mit Weisheit wurde wohl dieser Satz gefunden: „Du kannst nicht alles erhellen, ordnen und zwingen“. Und mit Hinweis auf den Vorredner: „Vertraue im Dunkeln!“ Zu Max Regers verhaltenem Instrumentalstück „Weihnachten“ folgte nun eine „Kerzenmeditation“, jeder der wollte, konnte vorn ein Licht mit seinen persönlichen Jahreswünschen entzünden, also doch wieder Licht. „Dir soll Gutes gelingen, Du sollst gut gelingen“, wünschte Klaus Büstrin allen Anwesenden. „Von guten Mächten“ erzählte ein Gedicht des bedrängten Pastors Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahre 1944. „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“ – für ihn der sichere Tod.
Verabschiedung und Segen durch einen sichtlich bewegten Markus Schütte, ein Orgelnachspiel, Cesar Francks dissonanzenreicher Choral a-Moll, Neujahrswünsche für jeden Besucher persönlich an jener Kirchenpforte, die nun, kurz vor Mitternacht, ins Dunkel des neuen, so ungewissen Jahres führen sollte. Was man drinnen gar nicht vernommen hatte, drang einem nun sehr lästig ans Ohr, das tobende Chaos draußen, gewaltiges Feuer, ein dichtes Rauchen. Merkwürdig, wenn gerade die geschultesten Rationalisten mit ihren Raketen „Geister“ vertreiben wollen.
Ja, und auf der Rückfahrt über ganz leere Straßen wurde man von diesen Knallkörpern auch noch beschossen. Friede war das wohl nicht. All dies eine Stunde vor Mitternacht an der Pforte zum neuen Jahr. Lärmen und Durst regierten, die Jugend in größeren Gruppen beherrschte die Nacht. Aus alt-römischer Sicht folgt nun der Monat Januarius. Ihm sagt man zwei Gesichter nach, eins blickt nach vorn, das zweite zurück. Ganz in diesem Sinn war ja auch die „sehr religiös“ konzipierte Andacht.
Gerold Paul
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