Kultur: Hadern mit der Sympathiefalle
Doppelpremiere mit „Wie es so läuft“ und „Hikikomori“ im Jungen Theater des HOT
Stand:
Eigentlich könnte er ein sympathischer Typ sein. Der Mann, den Neil LaBute in seinem Stück „Wie es so läuft“ zum Erzähler macht (Alexander Weichbrodt) ist ein eigenwilliger Aussteiger. Cool, selbstironisch. Früher Klassenclown, dann Anwalt, jetzt Möchte-Gern-Schriftsteller. Außerdem macht er gerne Witze. Am liebsten über Schwarze. Am allerliebsten über seinen ehemaligen Mitschüler Cody Phibbs (Toks Körner), der schon in der Schule alle Mädchen bekam und jetzt mit Belinda (Jenny Weichert) verheiratet ist, der Frau, die auch unser Erzähler immer wollte. Als er einmal sauer wird, verrät sich jedoch unser Sympathieträger. Vergisst seine Coolheit und brüllt: „Er war schon immer ein dreckiger Nigger!“
Der dramaturgische Kniff, dem Publikum einen Erzähler zu geben, der hinter seiner Fassade nicht nur unsympathisch, sondern ein ziemlich rassistischer Hund ist, macht aus LaButes sonst eher leichtem Stück ein raffiniertes Kammerspiel. So muss das Publikum permanent die Verbrüderungsversuche des Erzählers hinterfragen – und lernt nebenbei, dass Rassismus nicht nur an Glatzköpfen zu erkennen ist, sondern gerne zivil trägt. Auch Cody taugt nicht wirklich als Sympathieträger. Als erfolgreicher Geschäftsmann ist er ein Großkotz, als Ehemann nicht nur eine Null, sondern auch handgreiflich. Als einziger Schwarzer in einer weißen Gemeinschaft fühlt er sich ständig bedroht und sieht überall potentielle Angreifer. Auch in seiner Ehe. Und Frau Belinda sucht Rettung bei unserem Erzähler.
Trotz komplexer Themen wie latentem Rassismus kommt LaButes Stück auch im Jungen Theater des Hans Otto titelgemäß leicht daher. „Wie es so läuft“ ist eine Auseinandersetzung mit den Untiefen des Alltags, voller filmisch spritziger Dialoge, die teils gar an pointenverliebte Soap-Operas erinnern. Carsten Kochan setzt den ungewöhnlichen Mix nicht nur schlicht, sondern insgesamt ein wenig blass in Szene.
Schön ist die Abwesenheit von Bühne: die ist außer dem bekannten Schwimmbecken nur das Foyer der Reithalle A – mit Zimmerpalme und Piano die Villa der Eheleute Phibbs. Um wirklich zu fesseln, ist die puristische Umsetzung nicht ganz intensiv genug. Das liegt vor allem an der Erzähler-Figur, die zwischen Geschichte und Kommentar pendelt. So bleibt Alexander Weichbrodt, der so wunderbar menschlich und schrecklich unsympathisch zugleich sein kann, vor allem als jemand in Erinnerung, der ständig von Ebene zu Ebene, von einem Lichtkegel in den nächsten springen muss, um den Plot auf Trapp zu halten. Was bei aller Anstrengung nicht ohne Holpern geht.
Auch in der zweiten Premiere am Freitag Abend holperte es, kam das engagierte Spiel nicht richtig zum Fließen. Auch „Hikikomori“ hat einen Erzähler, um den sich das Stück entspinnt. „Ich mach nicht mehr mit!“ erklärt H (Peter Wagner). Seit acht Jahren versagt er seiner Gesellschaft die Teilnahme an ihr, verlässt sein Zimmer nur für den Gang aufs Klo.
Durch eine Luke wird er von der Mutter versorgt, auch sie bekommt ihn nie zu Gesicht. Sabine Scholze spielt diese Mutter überzeugend zwischen Verzweiflung und Drohung. „Du musst ein wertvoller Mensch werden“ lautet eine ihrer Botschaften, über die H nur lachen kann. Er will nichts mehr müssen, schon gar nicht herkömmlich-kleinbürgerlichen Imperativen folgen. Wenn seine Mutter spricht, kittet sich H sich die Kleider mit Klebeband zu, als sei sein ganzer Körper von Wunden übersät. Irgendwie berührt ihn die Mutter, die seit Jahren um Kontakt bettelt, doch Zutritt gewährt er ihr aber nicht.
Während „Wie es so läuft“ sich am puristischen Kammerspiel versucht, wird in Holger Schobers Stück technisch mit vollen Händen ausgeteilt. „Das Problem an der Stille ist, dass man da seine eigenen Gedanken hören kann“, sagt H einmal. Genau das scheint Steudtners Inszenierung vermeiden zu wollen. Da ist der Fernseher, über den H Kontakt zur Mutter hält, ein Mikroport und Mikro, über das er im Internet chattet und die zur Frau seiner Träume erkorene Rosebud (Ulla Schlegelberger) kennenlernt. Eine große Videoleinwand im Hintergrund zeigt H, wenn er sich als Superhelden träumt.
Dazu flotte Lichtwechsel, damit wir Hs Stimmungsumschwünge nicht verpassen, und musikalische Motive, die, wenn es nachdenklich wird, auch mal sentimental klingen. Zwischen all dem wirken die Szenen mit Peter Wagner fast ein wenig verloren. Dabei spielt er seinen auf wenigen Quadratmetern agierenden H kraftvoll, vielfältig, verletzlich. Von den Momenten, die ihn einsam, seltsam, unappetitlich zeigen, hätte es etwas mehr geben können. Für jemand im Wortsinne a-sozialen ist H nämlich ganz schön zugänglich. Auch hier lauert die Sympathiefalle: H ist letztlich eine Spur zu nett, um als gesellschaftlicher Totalverweigerer durchzugehen.
Für einen Erzähler der glaubhaft aneckt ist die Inszenierung einen Tick zu geradlinig. Trotz Multimedialität.
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