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Von Klaus Büstrin: Hafenkatzen-Ehrenwort

Liebevoll, spaßig und virtuos am HOT: „Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“

Stand:

Aufgeregt und ängstlich ist Afortunada, die kleine Möwe. Sie soll das Fliegen lernen und wie ihre Mutter, sich in die Lüfte erheben und auf die Welt herunterschauen. Das Fliegen erlernt sie aber nicht von ihresgleichen, sondern von Katzen. Eine seltsame Konstellation. Alle fühlen mit der lernbereiten Möwe Afortunada. Nicht nur das liebenswerte Katzenvieh auf der Bühne, sondern auch die kleinen und großen Zuschauer in der Reithalle A.

„Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“. So heißt das neue Stück, das gestern am Hans Otto Theater (HOT) seine lautstark gefeierte Premiere hatte. Sebastian Wirnitzer hat das gleichnamige Buch des chilenischen Dichters Luis Sepúlveda aus dem Jahre 1996 in eine Fassung für das Theater gebracht und sie selbst inszeniert.

Der Kater Zorbas, der den lieben langen Hafen verbringt und seine Ruhe haben will, wird von einer sterbenden Möwe, die beim Fischfang in eine Ölwelle geraten ist, gestört. Zorbas verspricht dem Vogel, sein Ei auszubrüten. Hafenkatzen-Ehrenwort! Das geschlüpfte Küken , das den Namen Afortunada bekommt, hält Kater Zorbas für seine Mama und sich selbst für eine Katze. Das Abenteuer beginnt, als eine Ratte beschließt, Afortunada zu kidnappen. Doch bald kommt der Tag, an dem das „Möwen-Kätzchen“ feststellt, dass es doch keine Katze ist. Die Hafen-Katzen-Familie hilft ihr beim Fliegen lernen. Aber zu guter Letzt nur mit Hilfe eines Menschen, eines Dichters, der gern Rotwein trinkt, nicht mit Flügeln, aber mit Worten fliegen kann. Und da er sich diese Geschichte ausgedacht hat, ist es ein Leichtes, dass sie ein gutes Ende nimmt.

Sepúlveda schrieb eine freche, witzige, poetische und eine existenzielle Geschichte. Und Sebastian Wirnitzer hat in gut 80 Minuten ein liebenswertes und berührendes, aber nicht rührseliges Theaterstück daraus gemacht. Vieles wird darin angesprochen: Werte wie Freundschaft, Halten von Versprechen, Ausdauer, Ökologiebewusstsein. Ohne moralisch erhobenen Finger wird man sanft durch die Geschichte geführt.

Doch ob die oftmals verwendeten Zitate aus Goethes Faust, die noch zusätzlich einen Schuss Ironie in das Stück bringen sollen, von den Neun- oder Zehnjährigen verstanden werden, ist sicherlich fraglich. Ein ähnliches Schicksal muss auch das feierlich-traurige Lied „Wenn eine Katz muss scheiden“, das nach dem Bach-Choral gesungen wird, erleiden. Auch nicht alle philosophierenden Ausführungen werden verstanden. Da stellt sich schnell Unaufmerksamkeit bei den jungen Zuschauern ein.

Der Regisseur Wirnitzer hat eine sehr fantasiereiche Inszenierung geschaffen, die sehens- und hörenswert ist. Dabei bekam er beste Unterstützung durch Vinzenz Gertler, der eine erlebnisreiche Hafenstraße mit Wohnhäusern mit Balkon, Zimmern, Basar oder Leuchtturm in die Reithalle baute. Und die immer noch aktuelle Badezimmer-Atmosphäre des Theaters trifft gut diese Szenerie. Hier finden die Tiere ihre vertraute Heimat, in der man sich kennt und Hilfe erfährt, vor allem wenn Gefahren lauern. Sebastian Wirnitzer hat die Charaktere der Tiere köstlich gezeichnet. Seine Darsteller Philipp Alfons Heitmann als Kater Zorbas, Jenny Weichert als Möwe sowie Alexander Weichbrodt, Nina El Karsheh und Peter Wagner toben behänd über die Bühne, müssen sich immer wieder blitzschnell in andere Katzen-, Ratten- und Menschenpersonen verwandeln. Und das machen sie ausgesprochen liebevoll, spaßig und virtuos.

Die Quintessenz der Geschichte Seúlvedas lautet: Solche Katzen wünscht man sich – auch unter Menschen.

Nächste Vorstellung: 1. Februar, 15 Uhr, Reithalle A

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