Kultur: Handlungsfülle, Hintersinn und Sprachwitz Martin Kluger las im Club Tiefsee
Paris – London – Montevideo: Lebensstationen einer über die Welt verstreuten jüdischen Familie. Im Roman „Der Vogel, der spazieren ging“ erzählt Martin Kluger aus der Perspektive von Samuel Leiser die Suche nach sich selbst.
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Paris – London – Montevideo: Lebensstationen einer über die Welt verstreuten jüdischen Familie. Im Roman „Der Vogel, der spazieren ging“ erzählt Martin Kluger aus der Perspektive von Samuel Leiser die Suche nach sich selbst. Der Sohn eines chronisch erfolgreichen Krimiautors schreibt gegen die ständige Vereinnahmung als Übersetzer der nicht endenden Erzählflut und Fabulierlust des Vaters an. Sich erinnernd schreibt er alles, was zwischen ihm und der bedrohlich erlebten Übermacht des Vaters Yehuda Leiser steht, von der Seele. Scheinbar zufällig gerät die Figur des pausenlos schriftstellerische Erfolge feiernden Vaters in den brillanten Formulierungen des selbst zur Feder greifenden Sohnes immer mehr zur Karikatur. Der Ich-Erzähler dagegen entpuppt sich als Sprachvirtuose, hervorragender Beobachter und begnadeter Dokumentarist der eigenen komplizierter Familienbande. Ein schön herausgearbeiteter Erzählstrang unter vielen ist das Wiedersehen des Erzählers mit seiner halbwüchsigen Tochter Ashley im Paris von 1972. Rückblenden, raffinierte Schritte, Dialoge und genaueste Beschreibungen von Orten und Personen speisen sich aus den Lebenserfahrungen des weit herumgekommenen Autors, der als Drehbuchautor (u. a. „Rama dama“ zusammen mit dem Regisseur Joseph Vilsmaier) längst im Film beheimatet ist.
Martin Kluger, Jahrgang 1948, erhält in diesem Jahr den Candide-Preis. Er brachte in Groß Glienicke einige literarische Kostproben aus seinem neusten Roman „Der Vogel, der spazieren ging“ zu Gehör. Während man dem wohltuend gleichmäßigen Erzählfluss des Autors lauschte, ließ sich sehr schön nachvollziehen, was die Jury des Candide-Preises in ihrer Begründung mit Klugers „Handlungsfülle und Hintersinn, Sprachwitz und Tragik, erzählerische(r) Leichtigkeit ()“ meinte.
Mit diesem prominenten Gast hat der einladende Club Tiefsee in ausgesucht stilvoller Atmosphäre nicht nur einen äußerst gehaltvollen Appetithappen auf mehr Hörbares dargereicht, sondern auch, wie es Christian Zertz als Initiator der Veranstaltung formulierte, „die Latte für das, was wir noch zu tun gedenken, sehr hoch gelegt.“ Seiner Bitte, die in der Berlin-Potsdamer Kulturlandschaft ganz neu ins Leben gerufene „Hörbar“ mit einer Lesung zu eröffnen, war Kluger, der Zertz freundschaftlich und beruflich eng verbunden ist, gerne nachgekommen, auch um dem sich in Gründung befindenden Club Tiefsee e.V. nach seinen Möglichkeiten den Rücken zu stärken. Der ursprünglich von Bernd Sevens mit Dancefloor-Veranstaltungen in Groß Gienicke etablierte Club fühlt sich im nunmehr erweiterten Rahmen der Vermittlung aktueller audio- und audiovisueller Kultur verpflichtet. Geplant ist, sich mit ausgewählten Musik- und Tanzveranstaltungen, Filmvorführungen, Lesungen und Performances kulturell in der Region zu verorten.
In unmittelbarer Nachbarschaft zum Neuen Atelierhaus Panzerhalle geht nun also auch der Club Tiefsee in den Räumen der vor genau einem Jahr stillgelegten Waldschule in der Groß Glienicker Waldsiedlung vor Anker. Diese fröhlich vor sich hin brodelnde Keimzelle für Kunst und Kultur an der Nahtstelle zwischen Berlin und Potsdam entfaltet eine spannend zu beobachtende Mischung künstlerischer Aktivität.Almut Andreae
Almut Andreae
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