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Kultur: Häppchenformat

Die 4. Lange Nacht Freier Theater aus dem Land Brandenburg im T-Werk

Stand:

Wahrlich, es ist ein guter Witz, wenn ein Irrer mit Logik kommt. Da hilft kein Bitten und kein Flehen, nicht die klarste und noch so überzeugendste Argumentation. Will ein einmal als Geisteskranker Abgestempelter an den gesunden Menschenverstand seiner Pfleger appellieren, kann das nur als weitere Steigerung seines Wahns gewertet werden. Es ist zum Verzweifeln aussichtslos. Was bleibt, ist nur die Flucht.

Da sitzt er nun, Don Quijote, der verkannte Irre, nach seinem letzten Auszug auf einem Felsen bei Gibraltar und tobt in Richtung Publikum. Er verflucht den Autor Cervantes, dem er ein paar Episoden aus seinem Leben erzählt hatte, von seinem vorgetäuschten Irrsinn, um den Gläubigern zu entkommen und der sich dann ganz schnell gegen ihn selbst wandte. Und Cervantes schrieb dann dieses weltberühmte Buch über ihn. Nannte ihn den Ritter von der traurigen Gestalt und schuf damit eine riesenhafte Figur, aus dessen Schatten dieser Irre auf seinem Felsen sich nicht mehr lösen kann. So bleibt ihm nur zu toben und zu fluchen und seine wahrhaft wahnwitzige Geschichte von Don Quijote zu erzählen.

Knapp 30 Minuten ließ Norman Jahnke von der Potsdamer Stadt-Spiel-Truppe am Samstag bei der 4. Langen Nacht der Freien Theater diesen Don Quijote gegen die Geister zetern, die er rief. Und diese halbe Stunde zählte zu dem Beeindruckendsten an diesem Abend. Denn hier zeigte sich ganz deutlich, was Freies Theater leisten kann: Mit wenigen Mitteln Großes auf die Bühne bringen.

Elf Freie Theater aus dem Land Brandenburg waren ins T-Werk in die Schiffbauergasse gekommen, um „mal Ausschnitt, mal Rückblick und Vorschau“ aus ihrem Repertoire zu zeigen, wie es im Programmheft hieß. Ein straffes Programm von elf Vorführungen in fünf Stunden, verteilt auf zwei Bühnen im T-Werk und den Schirrhof. Doch der Versuch, den schon mehrfach kritisierten Schirrhof mit Theater zu beleben, hinterließ nur einen faden Beigeschmack. Diese Pflasterwüste, an der sich die gelegentliche Engstirnigkeit von Denkmalpflege manifestiert, die hier nun unbedingt an den ehemaligen Kasernenhof erinnern wollte, lädt kaum zum Verweilen ein. Ein Besucher brachte es mit seiner Bemerkung auf den Punkt: Wenn irgendwann auch noch die Laternen funktionieren, sehe dieser Hof aus wie ein Busbahnhof bei Chemnitz.

Über 350 Besucher waren gekommen, um sich in diesem Häppchenformat über Arbeit und Angebot der freien Künstlergruppen, das von Schauspiel, Figuren- und Straßentheater bis hin zu Tanz reichte, zu informieren. Die elf Freien Theater zählten zusammen 70 Schauspieler und Beteiligte, die das Treffen für Gespräche mit ihren Kollegen nutzten, sich die Zeit nahmen, zu schauen, was die anderen wie auf die Bühne brachten.

Das Glindower Wandertheater Ton & Kirschen gab mit Ausschnitten aus Shakespeares „Hamlet“ den Auftakt. Das Publikum wurde mitten hineingeworfen in die Handlung. Der Auftritt der Schauspieler im Schloss Helsingör, der geplante Mord an Hamlet durch Rosenkranz und Güldenstern und die bekannte Totengräberszene, hier reduziert auf eine wortarme Slapstick-Show. Hier wie auch bei der „Romeo und Julia“-Inszenierung durch das Potsdamer Theater Marameo, wo der erste Akt auf dem Schirrhof zu sehen war, konnte das Gezeigte nur als Appetithäppchen auf die ganze Vorstellung verstanden werden.

Einen stärkeren Eindruck hinterließen in diesen Kurzfassungen vor allem die kleinen, überschaubaren Inszenierungen. Der wunderbar, makabere und haarsträubende Einakter „Auf hoher See“ von Slawomir Mrozek mit dem Theater des Lachens aus Frankfurt/Oder, Tilman Kuhn vom Potsdamer Poetenpack mit Monologen von Anton Tschechow, die ersatzweise ins Programm genommen wurden, weil die geplante Vorstellung „Don Quijote“ aus Krankheitsgründen entfallen musste. Und Norman Jahnke von der Stadt-Spiel-Truppe in „Quijotes letzter Auszug“. Gerade Jahnke und Kuhn zeigten, wie stark ein guter Text wirken kann, wenn sich der Schauspieler nur auf das Wort verlässt und sich nicht in den Vordergrund drängt. Einziges Manko: Wer von den beiden Stücken „angefüttert“ wurde und mehr sehen will, muss enttäuscht werden. Beide Stücke sind im aktuellen Spielplan der Stadt-Spiel-Truppe und des Poetenpacks nicht zu finden.

Dirk Becker

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