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Der alte und der neue Marquardt. Hanno Koffler (l.) mit dem Ex-Zuhälter, den er in „Härte“ darstellt.

© dpa

Kultur: Hart und zart

Rosa von Praunheims „Härte“ über den Ex-Zuhälter Andreas Marquardt im Thalia-Filmgespräch

Stand:

Seine Eltern hasst Andreas Marquardt noch heute. Manche Therapeuten sagen, es sei wichtig, zu vergeben. Für sich selbst. Für das eigene Seelenheil. „Hab ich keine Lust zu, sag ich ganz ehrlich“, sagt Marquardt, Ex-Zuhälter, Karatetrainer. Sein Vater stellte ihn auf den Balkon, da war er noch ganz klein, und übergoss ihn mit kaltem Wasser, ein anderes Mal zerquetschte er ihm die winzige Kinderhand. Die Mutter schützte ihn nicht, im Gegenteil. Als er sechs Jahre alt war, fing sie an, ihn sexuell zu missbrauchen. „Dein Schwanz gehört mir“, sagte sie.

Haben Marquardts Eltern sein Leben zerstört? Lange sah es so aus, irgendwie. In den 70er-Jahren, als junger Mann, verdiente er gut als Zuhälter in Berlin-Neukölln, quälte die Frauen. Sex in einer Beziehung – das ging nicht, immer sah er seine Mutter in den Frauen. Dafür musste er sie bestrafen: „Ich hab das bis heute nicht begriffen. Desto brutaler und unnahbarer ich war, desto mehr sind die Frauen mir hinterhergerannt“, sagt er.

Vor allem quälte er die eine, die ihn immer geliebt hat – und die am Donnerstagabend, als Marquardt „Härte“, den Film, den Regisseur Rosa von Praunheim nach seinem Buch gedreht hat, in Potsdam vorstellt – neben ihm steht. Marion Erdmann, im Film von Luise Heyer dargestellt, ist winzig neben Marquardt, dem Kampfsportler – trotzdem war sie lange die stärkere von beiden. Auch sie wurde als Kind missbraucht, über lange Strecken des Films macht ihre passive, stille, hingebungsvolle Art ratlos. Bis man irgendwann begreift, dass sie immer das verletzte Kind in Marquardt gesehen hat, das er so lange hinter der Härte versteckt hat.

Rosa von Praunheim, der es am Donnerstagabend selbst nicht ins Thalia-Kino geschafft hat – hat die Geschichte der beiden als Kammerspiel und Dokumentation zugleich inszeniert. Hanno Koffler und Luise Heyer spielen das Marquardt und Marion, den Zuhälter und seine Hure. Alles um sie herum ist Provisorium, mehr Kulisse als Realität. Von Praunheim hat alles in Schwarz-Weiß festgehalten – und das Ganze mit Interviews mit dem echten, dem heutigen Marquardt, der heutigen Marion gegengeschnitten. Die sind in Farbe, oft an den Originalschauplätzen – die beiden sind in ihren Leben angekommen. Auch, wenn die Liebesgeschichte zwischen den beiden eigentlich zu unwahrscheinlich, zu kitschig für ein echtes Leben ist.

Mit ihnen ist am Donnerstag Hanno Koffler ins Thalia gekommen. Bevor von Praunheim ihm die Rolle gab, holte er sich Marquardts Okay. Der musste einverstanden sein. Das war er: „Da war gleich so ’ne Symbiose da.“ Die ganzen Dreharbeiten über blieben sie im Kontakt, Koffler nahm Karatetraining bei Marquardt, sie gingen zusammen in den Puff. „Selbst da hatte Hanno immer sein kleines Buch dabei, in das er immerzu was schrieb, ick dachte noch, was will der denn damit, ich erzähle ihm doch schon alles.“ Doch Hanno Kofflers Hartnäckigkeit, die sieht man auf der Leinwand. Fast scheint er besser auf die Rolle Marquardts zu passen als der selbst. Weil seine Züge nahezu ohne Bewegung von zärtlich zu brutal verschwimmen, weil es unter der glatttrainierten Oberfläche beständig gärt und brodelt, weil sein ganzer Körper diese quälende Spannung, die ihn zu zerreißen droht, mit jeder Faser in jeder Sekunde spürbar macht.

„Ich hatte das ja jahrelang weggekapselt, im kleinen Zeh“, sagt Marquardt heute. Umso bemerkenswerter ist es eigentlich, dass er – da war er gerade zum zweiten Mal verurteilt – im Knast für eine Therapie kämpfte, also genau das, was den kleinen Zeh wie eine Büchse der Pandora öffnet und das ganze Elend erst einmal herauslässt. Potenziell also etwas, vor dem jeder traumatisierte Mensch eine Heidenangst hat. „Ich wusste, wenn ich das jetzt nicht mache, komme ich hier nie wieder raus“, sagt Marquardt. Er lag richtig. Es half. Seine Eltern kann er da ruhig weiter hassen. „Warum die so wurden, wie sie waren, ist mir egal. Ich bin trotz allem nicht geworden wie sie.“ Zusammen mit Marion Erdmann leitet er heute eine Karateschule für Kinder, setzt sich für Missbrauchsopfer ein. „Die Kinder, Mensch, das sind glückliche kleine Purzel, die musste hochheben“, sagt Marquardt. So unverblümt brutal er mal gewesen sein mag, so betont geläutert, so überschäumend freundlich ist er heute.

„Härte“ läuft bis zum 28. Mai täglich im Thalia, Rudolf-Breitscheid-Straße 50

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