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Kultur: Hartmut Sörgel im Pomonatempel: Bilder und Texte

Manch ein Dichter braucht ziemlich viel Schweiß, um seine Wirklichkeit zu „poetisieren“. Bei Hartmut Sörgel ist das anders, ihm scheint alles zuzufliegen, während seines diesjährigen Urlaubs an der Algarve ebenso wie in der Regionalbahn nach Potsdam, wo er am Wochenende auf Einladung des Pfingstberg e.

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Manch ein Dichter braucht ziemlich viel Schweiß, um seine Wirklichkeit zu „poetisieren“. Bei Hartmut Sörgel ist das anders, ihm scheint alles zuzufliegen, während seines diesjährigen Urlaubs an der Algarve ebenso wie in der Regionalbahn nach Potsdam, wo er am Wochenende auf Einladung des Pfingstberg e.V. las – mitten unter seinen malerisch oder grafisch gestalteten „WortGeBilden“ und „Originalgrafischen Künstlerbüchern“ im Pomonatempel, und Kulturland Brandenburgs mit „Fokus Wasser“ war auch mit an Bord. Davon handelten auch viele seiner Wortfindungen, die man zwar gehört, aber nicht auch gesehen hatte – im Gegensatz zu den gestalteten Sachen („Schrift Bild III“) an der Wand des Tempel-Gevierts, zehn an der Zahl. Hier ranken sich Worte als Bilder durch Bilder, Acryl, Farbstift oder Aquarellpinsel lassen Bäume und Menschen aus ihnen entstehen, künden vom „Aquarium Kosmos“, der selber ganz aus Worten be-steht. Alles ist diesem Künstler beredt'': Der „schwatzende Regen“, der Stein vor den Füßen mit einem Gesicht. Sein Zugang zur Welt ist also gleichsam „antik“, vielleicht orphisch – da ist ja (anagrammatisch) ein „Fisch“ drin: „Still, das Meer spricht!“

Hartmut Sörgel, 1940 in Peine geboren, sucht, was er findet. Überall Worte, gelegentlich Poesie. Er belauscht die Gespräche zweier Damen im Vorbeigehen, hört, wie man sich in der S-Bahn unterhält, bringt Pomonas Werk mit dem Tempel hier in Verbindung, aber auch mit einer Fachzeitschrift für Obstbaumkunde: Apfelnamen wie „Belgischer Süßer“ oder „Berliner Schafsnase“ erregen sein Gemüt genauso wie die Versammlung von Pflanzen am Wasser: Hahnenfuss, Froschlöffel, Krebsschere. Klingende Worte also sprach er zu den Besucher. Ein idealer Ort, eine ideale Situation für jemanden, der es mit den „Vokabeln“ hält: Nieselregen, ein biss-chen Improvisation, Kommende/Ge-hende in kleiner Zahl, was wollte der Dichter mehr. Ein Vortrag vor Tausend wäre gar nichts dagegen!

Sentenzen wie „Städte sind Inseln in der Sprache der Schmetterlinge“ (aus „Gedichte“, 1997) wollten einen nicht so erreichen, seien sie auch dem studierten Sprachwissenschaftler Sörgel entsprungen. Sagt er aber „Ich erfinde in der Schweiz auf dem höchsten Berg ein Meer und ertrinke“, so hat er die Zukunft des Klimas erfasst. Dort wohnen wahr-scheinlich auch seine „Ertrunkenen Gedichte“. Er, der seinen Beruf so ernst nimmt, spielt mit der Sprache, findet in seinen „WortGeBilden“ tollkühne Anagramme wie „Brotleidweg“ oder „GI mit Wildbret“, gelegentlich trifft er sogar den persischen Dichter Omar Khayyam in Berlin, den tausend Jahre toten Gefährten, um sich mit ihm zu beraten. Kurz, man hatte es mit einem zu tun, der nicht umsonst auch in New York und Buenos Aires bekannt ist, nur: „In einem Tempel habe ich noch nie gelesen".

Er schreibt auf, was er sieht und hört, nicht für die Ewigkeit. Klar, dass auch Potsdams Wasser in Sörgels Fokus steht. Er zählt die Reihe der Flussfische auf, nennt die Städter in sehr freier Lyrik „Kapitäne mit Booten beim Spaziergang an Land“, doch wenn Vokabeln „die Stimmen einer Botschaft“ sind, so ist er eher ein Mann des gesprochenen Worts. Wie er sie vortrug, flüssig, poetisch, geschwind, manchmal sogar nach Oskar Pastior im reinsten Dada, so glaubte man sie ihm. Gleiches Geschick hatte man beim Selberlesen weniger. Ihm fallen die Worte halt zu. Doch still jetzt: das Meer spricht gerade ... Gerold Paul

Gerold Paul

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