Kultur: „Hätte für 80 Jahre Zuchthaus gereicht“
Interviewbüchlein mit dem Theatermann Günter Rüger / Zum 80. Geburtstag
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„Immer hatte ich gern gespielt, mir Geschichten ausgedacht, eine kleine Bühne gebaut, Figürchen hin- und hergeschoben. Das war eigentlich alles und ist im Grunde bis heute so geblieben. Auch der Spaß daran." Nun steht Günter Rüger kurz vor seinem 80. Geburtstag und er ist des Theaters noch immer nicht müde.
Wenn am Mittwoch, den 19. April, Tolstois „Krieg und Frieden" in der Französischen Kirche zur Wiederaufnahme gelangt, kann man erneut auch Günter Rüger in Aktion erleben. Bevor sich aber das intensive Spiel entfaltet und er in die Rolle des Freimaurers Basdejew schlüpft, wird ihm ein kleines Büchlein überreicht, das sein Leben für die Bühne auf 30 Seiten zusammenfasst. Die Theaterkritikerin Ingeborg Pietzsch hatte zuvor den großen Mimen, der nachhaltig das Hans Otto Theater mit prägte, interviewt. Nun kann er seine Erinnerungen und Reflexionen Schwarz auf Weiß nachlesen - auch dank des Fördervereins des Theaters, der es finanzierte.
Aber nicht nur für ihn ist dieses Büchlein ein vorauseilendes Geburtstagsgeschenk. Auch alle Theaterliebhaber werden mit Vergnügen und Interesse seinen Worten folgen. Sie führen anfangs weit zurück: in sein erstes Engagement nach Zittau 1947/48. Das begann mit einem Rausschmiss. Eine Operetten-Inszenierung drohte zu platzen, weil der Regisseur in Richtung Hamburg auf Nimmerwiedersehen abgereist war. „Ich sollte als Assistent, und vielleicht gar noch mehr, in die Arbeit eingreifen. Mir erschien sehr merkwürdig, was da auf den Proben geschah. Also mischte ich mich ein. Darauf schmiss mich der altgestandene Operettenbuffo, der die Regie übernommen hatte, aus dem Probenraum", erinnert sich Rüger. Diese „Ohrfeige" konnte ihn allerdings nicht erschüttern, noch oft nahm er in den kommenden Jahrzehnten das Regiezepter in die Hand - ohne Störenfriede. Über einhundert Inszenierungen stemmte Rüger in seinen fünfzig Potsdamer Arbeitsjahren, die auf Zittau folgten. Neun Intendanten sah er dabei kommen und gehen: so den „Theaterhasen" Gerhard Meyer mit seinem großen Gespür für Talente, Peter Kupke, der sich mehr auf die dramaturgische Seite kaprizierte oder Gero Hammer, der sich stärker als „Verwaltungsmensch" verstand, aber erstaunlich viele politisch brisante Stücke ermöglichte
Er selbst habe es nie erlebt, dass er eine Stück-Konzeption vor Stellen außerhalb des Theaters verteidigen musste. Auch nach den Premieren kam es mit ihm zu keinen Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der SED-Bezirksleitung. Vielleicht seien sie aber mit dem Intendanten geführt worden. „Mit mir auch deshalb nicht, weil ich in keiner Partei war und schon gar nicht in der SED." Aber aus dem Hause selbst sei ihm einmal das grüne Licht für eine Inszenierung verwehrt worden. Als er „Macbeth" auf die Bühne bringen wollte, lehnte Gero Hammer das Vorhaben ab, weil zu der Zeit die Fragestellung des Stücks nicht opportun und das Problem der Macht ein Reizthema gewesen seien. „Aber wenn ich daran denke, was wir manchmal losgelassen haben auf den Proben ... das hätte für achtzig Jahre Zuchthaus gereicht." Rüger erinnert sich, dass der auf ein intellektuelles, sensibles Publikum zugeschnittene Potsdamer Spielplan es mitunter sehr schwer gehabt hatte, sich durchzusetzen. „Ich weiß nicht, ob das mit Preußen zusammenhängt. In Dresden oder Leipzig sind die Leute aufgeschlossener gegenüber Kunst als die, die auf märkischen Sand gebaut haben. Theater machen ist hier härter."
Dennoch habe es ihm Spaß gemacht, in Potsdam zu arbeiten, und die Nähe von Berlin sei dabei nicht unwesentlich gewesen. „Man sah wunderbare Inszenierungen, fühlte sich angeregt." Heute fährt er nur noch ungern hin. Warum, darüber gibt das Interview keine Antwort. Wer aber Rügers Art, zu inszenieren, kennt, kann ahnen, warum. Ihn interessierten am Theater immer am meisten die Schauspieler, Geschichten über Menschen, das Humanistische im weitesten Sinne. Er kannte seine Stücke so gut wie der Souffleur und sie ließen ihn auch noch Jahre nach der Premiere nicht los.
Genauigkeit und Spaß bei der Probe, das habe er immer angestrebt - Dinge, „die heute leider nicht mehr gefragt sind, wie ich gehört habe. Heute herrscht Stress. Überall. Nicht nur im Theater." Für ihn als Geschichtenerzähler sei es unbegreiflich, wenn Stücke nur als Materialwert behandelt werden. Ehrlichkeit, Wahrheit von Schauspielern - das interessiere ihn.
Er, der selbst als Schauspieler auf der Bühne steht, ist sich als Regisseur manchmal im Wege. „So ging es mir vor kurzem in Frankfurt am Main, als ich in einem Stück von Sam Shepard spielte. Plötzlich entdeckte ich, dass ich bereits fünfmal eine Aussage in dem Stück präziser hätte sprechen müssen. Dem Schauspieler Rüger ist das durchgerutscht. Dem Regisseur Rüger wäre das nicht passiert."
Es ist erstaunlich, wie Ingeborg Pietzsch den ansonsten eher wortkargen Mann so aus der Reserve zu locken verstand. Ihr Interview-Buch erzählt nicht nur von einem der beständigsten, für verlässliche Qualität stehenden Theatermann, es ist auch ein anregendes Nachdenken über ein wechselvolles Stück Theatergeschichte.Heidi Jäger
Die durch Mitarbeit der Dramaturgen Irmgard Mickisch, Silke Panzner und Michael Philipps entstandene Broschüre wird am 19. April um 19.30 Uhr in der Französischen Kirche vom Intendanten des Theaters, Uwe Eric Laufenberg, der Theatervereins-Chefin Lea Rosh sowie von der Autorin Ingeborg Pietzsch übergeben. Erhältlich an der Theaterkasse für 4 €
Heidi Jäger
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