
© Stefan Gloede
Kultur: „Haydn war da freier“
Antonello Manacorda über das Sinfonische in Joseph Haydns „Die Schöpfung“ und Lichter und Bilder bei der Aufführung am Freitag im Nikolaisaal
Stand:
Herr Manacorda, mit Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ eröffnet die Kammerakademie Potsdam am Freitag die neue Spielzeit im Nikolaisaal. Ein Werk, das Sie sich ausdrücklich gewünscht haben.
Ja, das versuche ich schon seit drei Jahren. Jedes Mal, wenn wir über das Eröffnungskonzert sprachen, habe ich „Die Schöpfung“ ins Spiel gebracht.
Und woran sind Sie immer wieder gescheitert?
Es ist eine recht teure Produktion durch die drei Solisten und den Chor. Aber im vergangenen Jahr haben wir mit „Teatro in Musica“ eine alternative Form gefunden, in der wir Musik mit theatralischen Elementen verbinden. Und da war es dann endlich so weit, dass ich mich mit Haydn durchsetzen konnte.
Warum diese Begeisterung für Haydns „Die Schöpfung“?
Bei uns in Italien wird „Die Schöpfung“ nur sehr selten gespielt. Ich habe es dort vor Jahren gespielt und das mit größtem Vergnügen. Für mich ist „Die Schöpfung“ eines der besten Oratorien überhaupt. Und es zeigt, dass Haydn ein ganz besonderer Oratorien-Komponist wa r. Denn in erster Linie war er ein Meister der Sinfonie.
Was seinem Oratorium deutlich anzuhören ist.
Ja, und wenn man zum Vergleich Händel und Mendelssohn-Bartholdy nimmt, also Komponisten, die vor und nach ihm gewirkt haben, so fällt doch auf, dass man in deren Oratorien sehr stark in eine religiöse Welt gezogen wird. Vor allem musikalisch, denn das ist Kirchenmusik. Bei Haydn ist das nicht so. „Die Schöpfung“ beginnt mit der „Vorstellung des Chaos“, einer Ouvertüre in c-Moll. Und da ist alles sofort da. Das ist eine reinste Tondichtung, ähnlich dem, was Strauss später gemacht hat. Haydn malt hier förmlich mit der Musik, so, wie es auch Vivaldi getan hat. Aber in der „Schöpfung“ ist es wie Oper und Malerei, der reinste Impressionismus. Und wenn Haydn dann zum Ende des ersten Teils Sonne und Mond aufsteigen lässt, ist das wahnsinnig schön, was da passiert. Es gibt nur wenige Werke, die so deutlich und klar sind. Darum ist dieses Oratorium nicht in erster Linie christlich-religiös und auch keine Kirchenmusik. Hier zeigt sich Haydn als Meister der Sinfonie, der sich am Ende seines Lebens mit einem solchen Thema auseinandersetzt.
Aber zuerst einmal war „Die Schöpfung“ eine Auftragsarbeit.
Eine sehr gute bezahlte Auftragsarbeit. Denn Haydn hat für dieses Oratorium fünfmal so viel erhalten wie für eine Oper. Aber es hat ihn auch gereizt, welche Möglichkeiten sich dadurch für ihn bieten. In England hat er Händels „Messias“ erlebt mit 850 bis 900 Beteiligten auf der Bühne. Diese Art Musik zu machen hat ihn unwahrscheinlich begeistert.
War Haydn einfach unkonventioneller beim Komponieren seines Oratoriums?
Ich würde sagen, Haydn war da freier. So gibt es bei ihm sehr wenige und sehr kurze Secco-Rezitative, also diese typischen Verbindungen zwischen den Arien, Duetten und den Chorpassagen in einem Oratorium, die im Grunde die Geschichte erzählen. Haydn hat hier einfach instrumentiert. Er malt hier förmlich wieder und erzählt so die Geschichte durch die Musik. Was beim Oratorium und der Oper seria überhaupt nicht üblich war. Da sind die Rezitative für die Erzählung verantwortlich und die Musik beschreibt die Affekte. „Die Schöpfung“ ist da wie die Da-Ponte-Opern von Mozart, in der die Psychologie der Figuren so tief greift, dass die Geschichte auch durch die Musik erzählt wird.
Die Kammerakademie Potsdam hat „Die Schöpfung“ noch nie gespielt. Ist das für Sie als Dirigent eher ein Vorteil oder ein Nachteil?
Beides. Als Nachteil erweist sich da der Umfang dieses Oratoriums. „Die Schöpfung“ hat 34 Nummern. Da braucht es sehr viel Zeit für die Probe. Und alles ist hochvirtuos für das Orchester. Die vielen Soli unter anderem für die Bläser, und die Streicher sind ständig beschäftigt. Als ich „Die Schöpfung“ während meiner Zeit als Konzertmeister beim Mahler Chamber Orchestra gespielt habe, hatte ich immer das Gefühl, ich spiele den Noten hinterher. Ich habe die Seite umgeblättert und gedacht: Oh mein Gott, das noch. Dann die nächste Seite umgeblättert und gedacht: Oh mein Gott, jetzt auch noch das. Da ist Haydn wirklich gnadenlos. Aber auch wenn wir „Die Schöpfung“ noch nicht als Orchester gespielt haben, so haben doch viele der Musiker dieses Oratorium schon in einer anderen Besetzung gespielt. Trotzdem ist das für uns gerade eine sehr arbeitsreiche und intensive Probenzeit.
Bei der Aufführung am Freitag sind neben einer Lichtinstallation auch Bilder vom Weltraumteleskop Hubble zu sehen. Braucht Haydns Musik heute solche Zugaben?
Nein, diese Musik braucht das überhaupt nicht. Aber schon nach meiner ersten Aufführung der „Schöpfung“ war da dieser Wunsch in mir, sie zu inszenieren. Der Stoff ist so schön und vielseitig, da bietet sich das einfach an. Als wir uns dann in der Kammerakademie entschieden hatten, „Die Schöpfung“ in der Reihe „Teatro in Musica“ auf die Bühne zu bringen, war da natürlich die Frage, in welcher Form wir das inszenieren. Zuerst haben wir nur an eine Lichtinstallation gedacht. Bei der weiteren Auseinandersetzung sind wir dann aber zu dem Schluss gekommen, dass wir einen tieferen Hintergrund brauchen. Also versuchen wir jetzt mit den Bildern aus dem Weltraumteleskop Hubble dem Ganzen eine gewisse Tiefe zu geben.
Sie haben sich also bewusst gegen einen Regisseur entschieden, der seiner Inszenierung ja eine gewisse Haltung und Deutung gegeben hätte?
Genau, denn so lassen wir alles offen und geben dem Zuschauer nur ein wenig Inspiration. Und wer das nicht möchte, der kann auch nur mit geschlossenen Augen dasitzen und sich voll auf die Musik konzentrieren. Das sind einfach nur Möglichkeiten, kein Statement. Denn sonst würde das alles zu stark und auch überladen, vielleicht sogar arrogant wirken.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Joseph Haydn „Die Schöpfung“ mit der Kammerakademie Potsdam, dem Vocalconsort Berlin, Lisa Larsson (Sopran), Steve Davislim (Tenor) und Stephan Loges (Bass) am Freitag, dem 23. August, 20 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Der Eintritt kostet 8 bis 30 Euro
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