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Kultur: Heikle Weihnacht

Das Berliner Quartett y move im Nikolaisaal

Stand:

Die Leute vom Film mögen es, harmonische Familienfeste im Grauen enden zu lassen. Rechtzeitig zur Weihnachtszeit brachten die kanadischen Regisseure Wong und Morgan mit „Black Christmas“ ihren Beitrag zum Fest der Liebe in die Kinos. Ein Remake von Bob Clarks Horrorklassiker aus dem Jahr 1974. Schon der Titel verrät, dass hier nicht nur die Weihnachtsgans gemeuchelt werden soll.

Welches Verhältnis die vier Musiker von y move zum Weihnachtsfest haben, erzählten sie im Foyer des Nikolaisaals nicht. Aber sie ließen es in ihrer Musik anklingen. Etwas unvermittelt schälte sich aus einem Lied die Melodie von „Stille Nacht, heilige Nacht“ heraus. Anfangs nur Fragment, als gelte es kurz dem angekündigten „Weihnachtsjazz“ im Programmheft gerecht zu werden. Doch wie der Zuschauer im Kino hilflos beobachten muss, wenn der Bösewicht mit blitzender Klinge seine ahnungslosen Opfer sucht und findet, erlebten die Gäste im ausverkauften Foyer, wie y move dieser lieblichen Weihnachtsmelodie den Garaus machten.

Andreas Schmidt ließ zuerst ein wenig Weihnacht aus den Tasten leuchten. Oh, trügerische Harmonie. Dann griff er dem Klavier in die Eingeweide, zupfte die Saiten und ließ ein bunt leuchtendes Kinderspielzeug über die Innereien kreisen, bis ein unheimliches Summen anhob. Andreas Henze am Bass und Rainer Winch am Schlagzeug gaben sich ahnungslos und webten dem Rhythmus ein brüchiges Rückgrat. Yelena K zückte ihr Mordwerkzeug Stimme und machte langen Prozess. Sie knurrte und gurgelte, zehrte und dehnte die Melodie, zerbiss die Vokale mit großen Genuss. Es gab Momente, da glaubte man, da vorne singt eine Wahnsinnige in Stimmen.

Dem Zuhörer sträubten sich derweil im Zeitlupentempo die Nackenhaare. Das war nicht der plumpe Horror mit dem großen Küchenmesser sondern ganz subtil mit der Nagelschere.

Es gab viel Applaus nach dieser nervenaufreibenden Weihnachtsgeschichte. Wie es an diesem Abend überhaupt viel Applaus gab. Und das, obwohl y move eine ganz eigenwillige Form des Jazz spielten, mit vielen Ecken und Kanten und Brüchen. Doch wenn Eigenwilligkeit von Leuten präsentiert wird, die ihr Handwerk verstehen, ist Genuss garantiert.

Erst vor ein paar Jahren kam Yelena K aus ihrer Heimat Jugoslawien nach Berlin, um an der Eisler Hochschule Gesang zu studieren. Hier lernte sie Pianist Andreas Schmidt kennen. Aus gelegentlichen gemeinsamen Auftritten entstand y move, im Sommer erschien das Debütalbum. In Yelena K hat Andreas Schmidt die ideale Partnerin gefunden. Seine Arrangements, der nicht nur den Jazz, auch die Beatles oder Police zitieren, erinnerten stark an den Tüftler Tom Waits. Das klang und klirrte, war sperrig, Bruchstück an Bruchstück, wie mit dem Hammer gezimmert. Manche dieser Lieder gaben sich wie garstige Katzenbiester, die sich mit aller Kraft dagegen sträubten, in den Sack Harmonie gesteckt zu werden. Andere wieder ganz geschmeidig.

Diese Musik ist für die dunkle, so unwahrscheinlich präsente Stimme von Yelena K der beste Spielplatz. Sie dehnte die Silben, schien manchmal jedes Wort abzuwägen, bevor sie es sang. „A Hard Day’s Night von den Beatles klang bei ihr atemlos, schwer und müde, als hätte sie zuvor 16 Stunden geschuftet. „Crazy as a loon“ dann eine herzzerschneidende Liebesklage, ein letztes Aufbegehren, obwohl sie weiß, dass jede Mühe längst umsonst ist. Wo andere Sängerinnen immer noch auf den Scat-Gesang verfallen und für große Langeweile sorgen, ließ Yelena K einfach ihre Stimme machen, dass es manchmal klang wie nicht von dieser Welt.

Ein musikalisches Fest der außergewöhnlichen Art, an dessen Ende selbst Zartbesaitete Gefallen am Horror finden konnten. Dirk Becker

Dirk Becker

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