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Kultur: Heile Welt

„Drehort Potsdam“ mit großer Publikumsresonanz

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Aufbauen, was eine Zeit zerstörte, neu- bauen, was die Gegenwart bietet, belassen, was übrig blieb nach Bomben und Sozialismus? Solche Fragen gingen einem durch den Kopf, als man am Sonntag die völlig ausverkaufte Filmschau „Drehort Potsdam“ im Marstall besuchte. Als Begleitveranstaltung zu der Exposition „Auslöser Potsdam“ gleich nebenan stellte das Filmmuseum in Kooperation mit dem Deutschen Filmarchiv und dem HBPG altes, sogar unbekanntes Film- und Dia-Material über die alte Schönheit dieser Residenzstadt vor.

Der Andrang war enorm, eine lange Schlange vor dem Haus, eine geduldig wartende Menge im Vestibül, auch der Vorführraum war proppevoll. „Hoffentlich wird das wiederholt“, stöhnte eine Dame im Vorbeigehen. Darauf musste man nicht warten, nach gut neunzig Minuten lief das historische Material noch einmal als Mittagsprogramm.

Was wurde da ausgelöst? Potsdam will Potsdam sehen, wie es einst in seiner baulichen Pracht und Herrlichkeit war, mit oder trotz ihrer „preußisch-militaristischen“ Herrscher: das alte Reichsarchiv auf dem Brauhausberg, die lebendige Innenstadt, das Stadtschloss und seine Umgebung, die Garnisonkirche, die enggassige Lebendigkeit des heute verschollenen Viertels am Berliner Tor, die bescheidene „Kanaloper“ zum Wohle der Einwohner, natürlich die Parks um Sanssouci und das Neue Palais. Einen zackigen Militäraufmarsch von 1910 mit passender Musik von der Welte-Kino-Orgel (Helmut Schulte) gab den Auftakt, sonst überwiegend zivile Bilder, Straßenszenen der Innenstadt, ein lebhafter Viktualienmarkt an der Gloriette, promenierende Bürger mit Stöckchen, Autos, Radler, Kinder, Frauen, Männer, kaum Militär. Man suchte das schöne Potsdam, das unversehrte, die Glorie einer Residenzstadt, die heute keine mehr ist, sondern Provinz. Immer sucht man das Heil, immer soll alles heil sein, oder zumindest geheilt. Romantik?

Der Film-Marathon zeigte tatsächlich wunderbare Aufnahmen in flimmerndem Schwarzweiß, wozu die Kino-Orgel passenden Melodien von Radetzki und Choral bis zum unabwendbaren Bach hinzutat, sehr schön, sehr vergangen.

Schon interessant, wenn die Nikolaikirche das Stadtschloss aus jeder Perspekive deutlich überragt – Kirche über der staatlichen Macht? So zeigt es ein Film. Ein anderer schildert mit aller Ausführlichkeit, wie Potsdam 1927 seine 1700 gefallenen „Heldensöhne“ aus dem Ersten Weltkrieg ehrte, von Sportverein „Victoria“ bis zur Schützengilde war alles dabei, auch die zylinderbehüteten Abgeordneten der Stadt. Später ein Streifen mit Stadt-Veduten von 1933/34, überraschend mit Hitlers Machtantritt endend: vom Schulterschluss mit Volk und Preußen-Tradition war da die Rede.

Die wie gemalt wirkenden Farb-Diapositive der Gardeoffiziers Alfred von Löwenstein, 1943 aufgenommen, lassen Potsdam ein letztes Mal in seiner alten Gestalt erscheinen. Dann ein Film über russische Kämpfer zu Kriegsende, ein Streifen, der das Stadtzentrum in Schutt und Asche zeigte, ein letzter aus dem Bonner „Gesamtdeutschen Institut“ der fünfziger Jahre. Allein aus Amateuraufnahmen zusammengestellt, warnt er „die Zone“ vor einem toten Potsdam, wenn man das Stadtschloss nicht wieder aufbaue. So ist es dann auch gekommen. Nach dieser beeindruckenden Vorstellung schaut man seltsam zum Militärwaisenhaus, auf die Straße mit dem Kanal, nach dort, wo einst das Berliner Tor die Grenze der Stadt markierte.

Aber wird heute nicht die heile Welt im Perfekt der Vergangenheit gesucht? Nichts bleibt, wie es ist, dichtete Brecht. Nürnberg, Potsdams wiederaufgebaute Schwester, gibt das Exempel zwischen gestern und morgen. Wer’s versteht... Gerold Paul

Das Filmmuseum wiederholt am 4. Februar um 11 und 13 Uhr diesen filmischen und fotografischen Spaziergang.

Gerold Paul

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